Mannheim. Vier in die Jahre gekommenen Männer in ausgebeulten Anzügen. Anzeichen von Senilität? Mitnichten! Ulrich Tukur und seine „Rhythmus Boys“ inszenieren den Swing der 1930er und 1940er Jahre mit einer unglaublichen Ausgelassenheit. Ihr Geheimrezept: Eigentlich nehmen sie nur die Musik, vor allem den Swing der legendären Zwanziger ernst. Aber Ihre rasante Bühnenshow steckt voller Slapstick und Selbstironie. Berechtigt feiert das Publikum im Capitol die „älteste Boygroup der Welt“ frenetisch und lässt die Vier nur mit etlichen Zugaben von der Bühne.
Tatort-Kommissar Ulrich Tukur auch als Jazz-Pianist virtuos
Tukur ist Schauspieler, Musiker und Schriftsteller. Eine herausragende Präsenz nicht nur als Tatort-Kommissar. Als Jazz-Pianist schon virtuos, doch wenn er sich das Mikrofon schnappt, läuft er zu Hochform auf. Aus scheinbar harmlosen Moderationen improvisiert er fantastische Episoden, entwickelt einen dem Momentum entsprungenen Humor, von dem sich mancher TV-Kabarettist mehr als nur eine Scheibe abschneiden könnte.
Tukur wirkt wie eine Wiedergeburt von Heinz Erhardt, nur mutiger, cooler, spritziger, überschreitet manchmal auch leicht die Geschmacksgrenzen, etwa wenn er seinen Bassisten Günter Märtens wegen seiner Körpergrößer hänselt, seinen Gitarristen Ulrich Mayer wegen seiner akademischen Vergangenheit ein wenig der Lächerlichkeit preisgibt, seinen Schlagzeuger und Ex-Theologen Kalle Mews nicht so recht seriös erscheinen lässt.
Der Mannheimer Morgen auf WhatsApp
Auf unserem WhatsApp-Kanal informieren wir über die wichtigsten Nachrichten des Tages, empfehlen besonders bemerkenswerte Artikel aus Mannheim und der Region und geben coole Tipps rund um die Quadratestadt!
Jetzt unter dem Link abonnieren, um nichts mehr zu verpassen
Alles Teil einer Folge von hochwertigen Swings-Songs, die Tukur mit den „Rhythmus Boys“ knapp und kompakt ohne ausufernde Soli in den Saal katapultiert. Oft sind es berührende Lieder wie Friedrich Schröders „Über die Dächer der großen Stadt“ (1937), die im angeschlagenen Presto musikalisch eine zeitgenössische Qualität bekommen, trotzdem aber an die melancholische Empfindungswelt in den Zwischenkriegsjahren erinnern. Oder „Guarda la Luna“ von Fred Buscaglione (1954), das schon auf die schmalzigen Sentimentalitäten der Wirtschaftswunderzeit hinweist.
Riffs von Jimi Hendrix aus einer Ukulele herausgeholt
„Europas schönste Tanzkapelle“, wie Tukur seine Band nennt, macht nicht Halt vor schnellen wilden Nummern. Spencer Williams „Everybody Loves My Baby, but My Baby Don’t Love Nobody but Me” von 1924 versetzt das (leider sitzende) Publikum in gefühlte Tanzlaune. Natürlich hat Tukur auch Songs von Cole Porter und Irving Berlin dabei.
„Let’s Misbehave“ passt einfach zu den „Rhythmus Boys“, die mit ihren diversen äußerlichen Auffälligkeiten keinen Grund mehr brauchen, sich für schlechte Performance schämen zu müssen, sich für „Puttin‘ on The Ritz“ aber wieder so richtig feinmachen. Beeindruckend zum Finale hin das Solo von Gitarrist Mayer, der krachige Riffs von Jimi Hendrix aus einer Ukulele herausholt.
Noch eins oben drauf setzt Bassist Märtens, der Mick Jagger alt aussehen lässt. Zum Stones-Hit „Let’s Spend a Night Together” zeigt er eine derart quirlige Choreographie, dass der Weltstar ins Grübeln kommen wird. So viel Entertainment an einem einzigen Abend gibt es in Mannheim nicht allzu oft.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/kultur_artikel,-kultur-ulrich-tukur-im-capitol-viel-swing-slapstick-und-eine-portion-mick-jagger-_arid,2220407.html