Rockkonzert

The Jesus and Mary Chain: 40 Jahre Rock 'n' Roll Ambivalenz live in Heidelberg

Die britischen Noise-Rock-Ikonen The Jesus and Mary Chain machen auf ihrer Tour zum 40. Bandgeburtstag in der sehr gut gefüllten Heidelberger Halle02 Station. Die Brüder Jim und William Reid beweisen dabei ihr Geschick, große Popmelodien unter einer rauen Oberfläche zu verstecken.

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Ist dem Publikum deutlich zugewandter als sein Bruder William (deswegen auch nicht im Bild): The-Jesus-and-Mary-Chain-Sänger Jim Reid in Heidelberg. © Rudolf J. Uhrig

Es gibt da eine gewisse Ambivalenz im Schaffen und Sein der schottischen Alternative-Band The Jesus and Mary Chain. „I Hate Rock ‘n’ Roll“ heißt einer ihrer Songs, erschienen 1995; „I Love Rock ‘n’ Roll“ titelt eine drei Jahre später veröffentlichte Version davon - beide Stücke spielt die Formation bei ihrem Konzert in der Heidelberger Halle 02. Wobei Sänger William Reid auch in der Basisvariante schon davon singt, dass er Rock ‘n’ Roll liebe. Und ihn hasse. Es ist wohl kompliziert.

Einfach war es, nach allem was man so liest und hört, auch zwischen den beiden Gründern der Gruppe nicht immer, zwischen den Brüdern Jim und William Reid, die The Jesus and Mary Chain 1984 ins Leben riefen, um ein Jahr später das phänomenale Album „Psychocandy“ zu veröffentlichen - ein zwischen Noise-Rock und Shoegazer-Sound changierender Meilenstein der Pop-Historie. Kurzauftritte, die in Gitarren-Feedback-Gewittern versanken, zerlegtes Instrumentarium inklusive, flankierten die Frühgeschichte(n) dieser Formation. Hinzu kommt der kolportierte wiederkehrende brüderliche Zwist. 1999 trennt sich die Band jedenfalls, 2007 fand man aber wieder zusammen und kann deshalb auf der aktuellen Europatour „40 Years“ feiern: den 40. Bandgeburtstag, was die fünfköpfige Gruppe eben auch in die sehr gut gefüllte Halle 02 führt.

Als Präsent in eigener Sache wurde ein schön geratenes, brandneues Album ausgepackt, „Glasgow Eyes“ heißt es, und mit dessen famos-zeitlos ins Repertoire eingegliederter erster Single „Jamcod“ starten The Jesus and Mary Chain auch ihren Auftritt. Auf der Setlist stehen einige weitere aktuelle Titel, „Chemical Animal“, das (irritierend nach Classic-Rock von Joan Jett & The Blackhearts klingende) „The Eagles And The Beagles“, „Pure Poor“ und „Venal Joy“.

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Veröffentlicht
Von
Jörg-Peter Klotz
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Popmelodien, die unter Lärm und dunklem Rauch versteckt werden

Aber vor allem liefert die Gruppe bei ihrem rund 100-minütigen Konzert - wobei sich Jim Reid dem Publikum durchaus freundlich zugewandt zeigt und William eher etwas abseits am Bühnenrand die Gitarre spielt - eine Fülle von Songs, welche die Bandbiografie in den vergangenen Jahrzehnten unverwechselbar geprägt haben. Wie den Brause-pulvrig brodelnden Garagen-Pop von „Happy When It Rains“, wie „Some Candy Talking“ mit seinem Gitarren-Noise-Gestöber, das schnaubend groovende „Sidewalking“ oder den grandiosen Psychobilly-Punk von „In A Hole“. In der Zugabe gibt’s noch mehr Klassiker, darunter „Darklands“, „Taste Of Cindy“ nebst einer ausladenden Version von „Reverence“, und zuvor noch die Sirup-artige Soundwand-Elegie „Just Like Honey“.

Letzteres führt uns zurück zur eingangs behaupteten Ambivalenz: Fast scheint es, als hätten die Reid-Brüder mit allen Eigenwilligkeiten stets etwas verschämt davon ablenken wollen, dass sie im Kern grandiose Popmelodien schreiben, die sie unter Lärm und dunklem Rauch zu verstecken versuchen. Dabei weist ihr Sound bei aller Schroffheit immer auch eine besondere innere Wärme auf, durch die er sich - wobei wir wieder beim Beispiel „Just Like Honey“ wären - auch wunderbar in den Soundtrack eines zarten melancholischen Films wie Sofia Ford Coppolas „Lost in Translation“ einfügen ließ.

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