Mannheim. Er entwickelt sich zu einem Abend der Nachdenklichkeit. Das Konzert im Rahmen des Enjoy-Jazz-Festivals bietet mehr als nur die Musik gewordene Kreativität einer Frau, die als Michelle Johnson in Berlin geboren und in Virginia aufgewachsen ist. Sie nennt sich heute Mechell Ndegeocello (Swahili „frei wie ein Vogel“) und lenkt die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer in Mannheims Alte Feuerwache nicht nur auf ihre Songs. Zum 100. Geburtstag des afroamerikanischen Autors James Baldwin, dessen Bücher heute aus Bibliotheken einiger US-Staaten wieder verbannt werden, tourt die Bassistin und Sängerin mit ihrer Band durch Europa und erzeugt vor dem Hintergrund der US-Präsidentschaftswahlen bei einigen im Publikum auch ein Gefühl der Beklemmung.
„No More Water – The Gospel of James Baldwin“ heißt ihr derzeitiges, bei Blue Note verlegtes Doppelalbum, aus dem die meisten Songs ihres Live-Programms stammen. Und wer Ndegeocellos Musik kennt, weiß, dass man diese Künstlerin nur schwer einer bestimmten Stilrichtung zuordnen kann. Zusammen mit dem hervorragenden Gesang von Justin Hicks, dem Organisten Jake Sherman, Gitarrist Chris Bruce und Drummer und Perkussionist Abraham Rounds präsentiert sich hier eine bestens eingespielte Kernbesetzung, der man die stilistische Vielseitigkeit deutlich anhört. Es sind aber auch die auf Deutsch zwischendurch eingespielten Texte Baldwins, an die sich Ndegeocellos Songs anlehnen.
In „Trouble“ oder „Hatred“ thematisiert die Grammy-Gewinnerin (2021) jene Fragen, die vielen in den USA und auch hierzulande derzeit auf der Seele brennen. Rassismus, Sexualität und Politik, um nur drei Bereiche zu nennen, in denen Toleranz immer weniger geübt wird, setzt die Formation in ihren Stücken musikalisch um, wobei sie weitgehend auf improvisatorische Einzelbeiträge verzichtet. Bei dieser interessanten Besetzung hätte man hier in den Arrangements allerdings mehr Freiräume lassen können – auch ohne von Baldwins literarischen Aussagen abzulenken.
Alle Musiker nehmen sich hier zurück
Stattdessen nehmen sich alle zurück, und selbst Ndegeocello kommt in ihrer Band mehr wie eine Nebenfigur rüber anstatt die Hauptrolle zu spielen. Was die Kommunikation mit dem Publikum angeht, so erklärt die Komponistin, will sie lieber die Musik für sich sprechen lassen. Obwohl das oft kein schlechter Vorsatz ist, hätte man sich einige kurze Sätze zu den Songs gewünscht, zumal so auch die Verbindungen zu Baldwins Aussagen hätten verdeutlicht werden können. Ndegeocello ist seit den Neunzigerjahren bei vielen Formationen und in vielen Stilrichtungen von Metal und Hip-Hop bis Funk und Jazz aktiv. In ihren eigenen Projekten nimmt sie sich die Freiheit, auch außerhalb stilistisch festgelegter Musik zu agieren. Mit ihrem Projekt in Erinnerung an James Baldwin trifft sie einen Nerv unserer Zeit. Ihre Musik ist nicht nur hörenswert. Nebenbei sensibilisiert sie auch.
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