Nachruf

Streitbarer Kämpfer für die Kunst

Mit 88 Jahren ist Theaterlegende Claus Peymann in Berlin gestorben - sein Wirken veränderte das deutsche Sprechtheater.

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Der Theaterregisseur und Intendant Claus Peymann bei einem exklusiven Fototermin im Berliner Renaissance Theater. © Jens Kalaene/dpa

Berlin. Eine Straßenbahn fährt durch Stuttgart, die Kamera zoomt auf ein Schild: „Stammheimer Straße“. Mit diesen Videobildern beschloss Claus Peymann seine Inszenierung des Dramas „Die Gerechten“. Albert Camus‘ Stück aus dem Jahr 1949 thematisiert die Legitimität des Tyrannenmordes, Peymann assoziierte es mit den Taten der Gründungsmitglieder der „Roten Armee Fraktion“ (RAF), die im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses von Stammheim inhaftiert waren.

Titan des Theaters voller Widerspruchsgeist

Peymann. Ein Name wie Donnerhall. Mit Claus Peymann ist in Berlin-Köpenick im Alter von 88 Jahren ein großer Theatermacher gestorben, der Zeit seines Lebens aneckte. Ein Versehen war das nicht, sondern selbstbewusstes Programm. „Intellektuelle müssen das Maul aufmachen“, kommentierte er einst seinen regen Widerspruchsgeist. Genau dieser bleibe sein Vermächtnis, würdigt ihn Kulturstaatsminister Wolfram Weimer und nennt ihn einen „Titan des Theaters, Meister der Zumutung und Erneuerung“. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier stellt respektvoll fest: „Sein Wirken bleibt unvergesslich.“ Mit Peymann geht also ein Großer, die Prominenz der Nachrufer belegt es.

Berühmt gemacht hat den 1937 geborene Sohn eines Lehrers sein untrügliches Gespür für die Stimmungen der Zeit. Mit einem Paukenschlag führte er sich 1966 „als junger Wilder“ in die deutschsprachige Theaterlandschaft ein: Am 8. Juni fand im Frankfurter Theater am Turm die Uraufführung von Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ statt. DER Theaterskandal der Epoche. Handkes Text sei „das Stück der 68er gewesen, das heißt, der Aufstand gegen das Bestehende“, sagt er rückblickend über diesen Theatercoups.

Die „Publikumsbeschimpfung“ und Ensslins Zähne

Noch ein Stück zum Zeitgeist: In Wien kulminierte 1988 - anlässlich des 100. Jubiläums des Burgtheaters - Thomas Bernhards und Claus Peymanns Beschäftigung mit der deutschen und österreichischen Nazivergangenheit in der Uraufführung von „Heldenplatz“, die unter Polizeischutz und lautstarken Protesten stattfand.

Theater als Opposition gegen Autoritäten, als Fortsetzung des Marsches durch die Institutionen - trotz dieses emanzipatorischen Credos war Peymann, wen wunderte dies, nie ein Freund des Mitbestimmungsmodells am Theater, das in den 1970er Jahren in einigen Häusern Einzug hielt.

Claus Peymann bei einer Veranstaltung im Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm im Jahre 2008. © epd

Aber er war nicht nur der „Despot“, der für seine cholerischen Ausfälle bei den Proben berüchtigt war. Mit einem Stamm renommierter Schauspielerinnen und Schauspieler, darunter Bernhard Minetti, Gert Voss und Kirsten Dene, kartierte er - etwa zeitgleich mit Größen wie Peter Zadek, Peter Stein und Andrea Breth - die deutsche Theaterlandschaft neu.

Peymann selbst verstand sich als „Reißzahn im Arsch der Mächtigen“ wusste aber, ganz Theatermonarch alter Schule, deren Spiele selbst recht gut zu spielen. In Stuttgart (1974-1979) hatte er ehemaligen Terroristen ein Praktikum angeboten, und zuvor hausintern für die Zahnsanierung Gudrun Ensslins Geld gesammelt, was ihm den Ruf des Terroristenfreundes und Rücktrittsforderungen einbrachte. Hier legte der gebürtige Bremer den Grundstein für ein gesellschaftskritisches Sprechtheater, das den Diskurs über Erbauung und Repräsentation stellte. Später, als Intendant des Berliner Ensembles und schon zuvor als Wiener Burg-Chef (1986-1999), wusste er fraglos viel vom Theater- aber auch zu allem etwas.

Mahner und Grantler mit Selbstironie

In Bochum (1979-1986), wo legendäre Arbeiten zu Thomas Bernhards „Über allen Gipfeln ist Ruh“ (1982) oder „Der Theatermacher“ (1985, in Verbindung mit den Salzburger Festspielen) folgten, maulte er bereits über teure Pensionen großer Staatsmimen. Nahezu täglich kündigte der prominente Mahner später Wichtiges zu Kunst und Kultur an, 70-jährig etwa, dass er bald über seine Vertragsverlängerung am Berliner Ensemble über das Jahr 2009 hinaus entscheiden werde. Es hatte zwar mögliche Nachfolger gegeben, sein „Bedürfnis nach Theater ist aber sehr stark“ ließ er damals wissen und blieb letztlich 18 Jahre (1999-2017) Leiter der legendären Brecht-Bühne am Schiffbauerdamm. Hier provozierte der Theatermann eher mit Konservatismus, etwa in seiner Brecht-Pflege, womit das BE in die Kritik geriet, unter ihm nur noch ein Theatermuseum zu sein.

Peymanns Karriereschritte

Claus Peymann begann seine Regiearbeiten am Universitätstheater in Hamburg. Schon 1966/67 war er als Regieassistent am Stadttheater Heidelberg mit den Schauspielern Otto Sander und Ulrich Wildgruber engagiert.

Danach wechselte er nach Frankfurt, wo er bis 1969 Oberspielleiter des Theaters am Turm war. Zur Spielzeit 1970/1971 wechselte er zur Berliner Schaubühne, wo er mit dem neu eingeführten Mitbestimmungsmodell nicht einverstanden war.

Nach dem Zerwürfnis mit Peter Stein war er von 1971 bis 1974 als freier Regisseur tätig. Eine Bewerbung als Regieassistent bei Helene Weigel am Berliner Ensemble war gescheitert, nachdem Peymann zu spät zu einem Bewerbungsgespräch gekommen war.

Er wurde Schauspieldirektor in Stuttgart (1974–1979) und Intendant am Bochumer Schauspielhaus (1979–1986). Die Direktion des Burgtheaters in Wien hatte er von 1986 bis 1999 inne. Danach war er bis 2017 Intendant am Berliner Ensemble . rcl

Scharf ging er in jener Zeit mit dem Fernsehen ins Gericht. Sender köderten junge Schauspieler, die am Theater ihren Beruf erlernen, mit Geld: „Es kann nicht sein, dass ein junger Schauspieler pro Film 50 000 Euro bekommt - das ist pervers“, sagte er und forderte, dass die Sender die Theater entschädigen.„Das Geld ist nicht gerecht verteilt“, betonte der Intendant auch mit Blick auf die Berliner Theaterszene und sprach in Bezug auf sein Berliner Haus von Selbstausbeutung.

Widersprüche und Provokationen

Seine moralische Attitüde war dabei nicht ohne Komik und Selbstironie. Peymann, der die bestdotierten Posten in der deutschsprachigen Theaterlandschaft innehatte und Weltmeister-Regiegagen erhielt, war sicherlich der Letzte, der öffentlich über das Einkommen anderer Großverdiener klagen sollte. Aber das war eben Peymann, der als streitbarer Provokateur mühelos mit Widersprüchen umgehen konnte, vor laufender Kamera 500 Euro Honorar für ein Interview annahm und gerne kräftig austeilte. Mehr noch, genau das machte ihn aus und war Teil seiner Größe und Einzigartigkeit, die dem deutschen Theater nun fehlen wird. mit dpa

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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