Kino

So ist Walter Salles‘ neuer Film „Für immer hier“

Der Film „Für immer hier“ von Walter Salles thematisiert die brasilianische Militärdiktatur in den Siebzigern – und die mutige Auflehnung gegen das Unrecht.

Von 
Wolfgang Nierlin
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Fernanda Torres als Eunice Paiva in einer Szene des Films „Für immer hier“. © Alile Onawale/ DCM/dpa

Im Jahre 1970 sind die bedrohlich anmutenden Militärhubschrauber über einem belebten Strand von Rio de Janeiro Vorboten zukünftigen Unheils. Auch die rigiden Straßenkontrollen nach der angeblich von Terroristen initiierten Entführung eines Schweizer Botschafters lassen nichts Gutes ahnen und geben erste Hinweise auf eine autoritäre, rechtsnationale Militärdiktatur, die seit 1964 Brasilien beherrscht und vermeintliche politische Gegner rücksichtslos verfolgt.

Doch noch führt die große Familie des ehemaligen Abgeordneten Rubens Paiva (Selton Mello), die ein geräumiges Haus direkt am Meer bewohnt, ein unbeschwertes, fröhliches Leben. Die Kinder sollen nichts von den Gefahren spüren, von denen die Eltern wissen. So schickt man die älteste Tochter Vera (Valentina Herszage) vorsorglich zum Studium nach London. Mit originellen Super-8-Filmen dokumentiert diese ihren dortigen Aufenthalt.

Alles ändert sich, als eines Tages der Vater ohne Angabe näherer Gründe von obskuren Militärpolizisten in Zivil verhaftet und an einen unbekannten Ort gebracht wird. Die fremden, schweigsamen Männer belagern und durchsuchen das Haus, beobachten die Familie und nehmen schließlich auch die selbstbewusste Mutter Eunice (Fernanda Torres) sowie ihre 15-jährige Tochter Eliana (Luiza Kozovski) zur Befragung mit.

Walter Salles‘ neuer Film „Für immer hier“, der auf wahren Ereignissen basiert, taucht nun ein in eine dunkle Parallelwelt, wo in geheimen Gefängnissen Menschen widerrechtlich gefangen gehalten und gefoltert werden. Das Regime aus Angst und Schrecken ist fortan allgegenwärtig. Durch die langen, dunklen Flure hallen die Schreie der Gequälten, Eunice droht ihr Zeitgefühl zu verlieren; und der suggestive Psychoterror, dem sie täglich ausgesetzt ist, erfasst auch ihren Körper und setzt sich nach ihrer Rückkehr zur Familie fort.

Der Film will auch eine Mahnung sein

Basierend auf Marcelo Paivas Memoiren sowie auf eigenen Erinnerungen, kontrastiert Walter Salles auf intensive Weise zunächst ein fast utopisches Freiheitsgefühl und die warme Farbigkeit der siebziger Jahre mit staatlicher Kontrolle und Unterdrückung. Mit dem unumgänglichen Verkauf des Hauses und dem Abschied von Freunden evoziert er zugleich eine Vertreibung aus dem Paradies. Indem der Film die Perspektive seiner starken Heldin übernimmt, die sich durch ein spätes Jura-Studium neu erfindet und für ihre sowie die Rechte Indigener kämpft, thematisiert er schließlich die Geschichte der Zurückgebliebenen, ihren Umgang mit Verlust und Trauer.

Gegen das Vergessen und die Verdrängung der Vergangenheit wählt Eunice – auch im Hinblick auf das Erbe nachfolgender Generationen und veranschaulicht durch zwei große Zeitsprünge – den Weg der Aufklärung, um die Verbrecher zur Rechenschaft zu ziehen. Weil sich in den individuellen Leiden auch die Wunden der Gesellschaft spiegeln und weil gegenwärtige rechtspopulistische Tendenzen weltweit Anlass zur Sorge sind, will der renommierte brasilianische Regisseur seinen beeindruckenden Film auch als Mahnung verstanden wissen.

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