Film

So blickt Regisseur Edward Berger auf die Oscar-Verleihung

Edward Bergers „Im Westen nichts Neues“ ist für neun Oscars nominiert. Im Interview spricht der Regisseur über die Herausforderungen beim Filmemachen - und warum man sich manchmal einfach nur trauen muss

Von 
Patrick Heidmann
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Felix Kammerer in „Im Westen nichts Neues“. Der Film könnte bei der Oscar-Verleihung am Sonntag, 12. März, alle Rekorde brechen. © Netflix/dpa

Herr Berger, mit welchen Erwartungen oder Hoffnungen gehen Sie in den Oscar-Abend am 12. März?

Edward Berger: Das Schönste ist, dass wir mit so vielen Kolleginnen und Kollegen, die am Film mitgewirkt haben, für einen Preis nominiert wurden. Diese Anerkennung werden wir alle gemeinsam genießen. Dennoch muss man realistisch bleiben, denn es haben viele Nominierte extrem gute Arbeit geleistet. Es kann also absolut sein, dass man ganz ohne Preis nach Hause geht. Unsere Nominierungen kann uns jetzt aber niemand mehr nehmen. So viele Nominierungen für einen deutschen Film gab es noch nie, und das wird so schnell in meinem Leben wohl auch nicht wieder passieren. Darüber bin ich einfach glücklich.

Der deutsche Regisseur Edward Berger sitzt bei einem Gespräch mit der Deutschen Presse Agentur in den Cinecitta Filmstudios in Rom, Italien. © Oliver Weiken

Warum war es Ihnen besonders wichtig, dass dem Film im Ausland Aufmerksamkeit entgegengebracht wird?

Berger: In Deutschland haben wir natürlich ein ganz besonderes Verhältnis zum Thema Krieg und wissen um unsere Schuld. Ich zumindest schleppe sie täglich mit mir herum und werde sie auch nie überwinden, denn sie ist nun einmal Teil unserer Geschichte. Mich hat es interessiert, dieses Gefühl auch mit dem Publikum im Ausland zu teilen. Wenn ich englische und amerikanische Kriegsfilme schaue, fällt mir immer wieder auf, dass es dort Helden gibt. Sie besiegen den Feind, haben eine Mission zu erfüllen, müssen Hindernisse überwinden oder jemanden retten, und am Ende kann man sie für ihre heldenhaften Taten feiern. Diese Geschichte können wir in Deutschland nicht erzählen, und mir war es wichtig, mit „Im Westen nichts Neues“ auch den Menschen in anderen Ländern zu vermitteln, warum das so ist. Gerade bei Vorführungen in England und den USA waren die schönsten Momente für mich, wenn danach Zuschauerinnen und Zuschauer zu mir kamen und sagten, dass sie darüber noch nie nachgedacht hätten. Sie haben durch den Film ihre Position überprüft und kamen hin und wieder auch zu der Einsicht, dass es im Krieg womöglich keine Helden gibt, sondern nur Verlierer.

Zum Film

  • Noch nie in der Geschichte der Oscars hatte ein deutscher Film so viele Trophäen-Chancen wie „Im Westen nichts Neues“. Das Antikriegsdrama von Regisseur Edward Berger, nach der Buchvorlage von Erich Maria Remarque aus dem Jahr 1929, ist zudem das erste deutsche Werk, das als „Bester Film“ gewinnen könnte.
  • Weitere acht Nominierungen gab es in den Sparten Internationaler Film, Kamera, Make Up & Hairstyling, Produktionsdesign, Sound, visuelle Effekte, adaptiertes Drehbuch und Musik.
  • In der Oscar-Historie schafften es erst acht nicht-englischsprachige Filme gleichzeitig in die Kategorien „Bester Film“ und „Internationaler Film“. 2020 gelang der südkoreanischen Satire „Parasite“ der erste Doppelsieg überhaupt. Ein gutes Omen für Berger: Alle acht holten zumindest den Auslands-Oscar.
  • Auch das Interesse am Roman von Remarque ist stark gestiegen. Wie die Sprecherin des Verlags Kiepenheuer & Witsch mitteilte, habe sich die Nachfrage im Januar und Februar gegenüber den letzten Vorjahren verdreifacht.
  • „Im Westen nichts Neues“ ist aktuell zu sehen bei Netflix und ab 24. März auf Blu-ray erhältlich. 

Reizte es Sie an diesem Projekt auch, dass es Ihr bislang aufwendigster und größter Film war?

Berger: In jedem Fall mag ich die Herausforderung. Ich möchte Filme machen, die ich vorher noch nie gemacht habe. Filme, vor denen ich Angst und Respekt habe, weil ich mit ihnen auch scheitern kann. Natürlich traf das insbesondere auf dieses Projekt zu. Mir war schon bewusst, dass das auch enorm schiefgehen kann. Aber ich suche mir eben gerne Hürden, die ich überspringen muss, selbst wenn ich sie womöglich reißen könnte. Ich gehe morgens gern mit Angst zum Set. Dann muss man sich besonders anstrengen.

Sehen Sie „Im Westen nichts Neues“ als das Beste aus zwei Welten: ein deutscher Film, mit Netflix im Rücken und britischen Ko-Autorinnen und Autoren?

Berger: Nein, so würde ich das nicht beschreiben. Der Film ist wirklich eine rein deutsche Produktion, selbst wenn das Geld dafür von einem amerikanischen Konzern stammt. Betreut hat ihn bei Netflix mit Sasha Bühler eine Frau, die zwar gebürtige Amerikanerin, aber deutsch sozialisiert ist und seit 30 Jahren in München lebt. Unser Produzent ist Deutscher, die meisten Department-Heads kommen auch aus Deutschland mit weiteren Kolleginnen aus Tschechien oder England. Und was das Drehbuch angeht, war das keine Kollaboration zwischen Engländern und einem Deutschen, sondern Lesley Paterson und Ian Stokell haben mir ihre Version anvertraut, aus der ich dann meine eigene Fassung gemacht habe. Ich wollte den Film wirklich deutscher machen.

Wenn Sie nun frühere Filme wie „Jack“ oder „All My Loving“ mit „Im Westen nichts Neues“ vergleichen, erkennen Sie da aller Unterschiedlichkeit zum Trotz noch eine Art Edward Berger-Handschrift?

Berger: Auch wenn ich die Abwechslung mag, ist der Kern der Filme immer gleich. Gemeinsam ist ihnen vor allem, dass ich gerne sehr subjektiv von den Figuren erzähle. Das fing bei „Jack“ an, indem die Kamera nur auf dem Gesicht des kleinen Jungen verweilte, weil ich den Zuschauerinnen und Zuschauern keine andere Wahl geben wollte, als sich mit ihm zu identifizieren. Es gab keine Totalen, wo der Raum wichtiger als der Junge wurde, keinen Gegenschuss auf andere Figuren, höchstens mal einen Schwenk, um zu zeigen, was er sieht oder mit wem er redet. Wenn man das konsequent umsetzt, hat das Publikum am Ende keine Wahl als mit diesem Jungen mitzugehen. Eine ähnlich enge Perspektive gibt es nun bei Paul Bäumer in „Im Westen nichts Neues“. Der Film lebt hauptsächlich von dem Gesicht von Felix Kammerer. Alles andere ist nur dazu da, um diesen großartigen Schauspieler zu unterstützen und den Zuschauerinnen und Zuschauern das Gefühl zu vermitteln, was gerade im Bauch von diesem Jungen vorgeht. Außerdem mag ich das Gefühl der Melancholie und der Sehnsucht. Ich hoffe, dass man das in den Filmen spürt.

Bei Ihren internationalen Serien-Arbeiten haben Sie bereits mit Superstars wie Benedict Cumberbatch oder Bryan Cranston zusammengearbeitet, nun stehen für Ihren neuen Film Ralph Fiennes und Stanley Tucci vor der Kamera. Ist das noch eine Herausforderung?

Berger: Auch „Conclave“ ist für mich wieder etwas Neues und damit auch eine große Herausforderung, aber nicht wegen der prominenten Besetzung. Es ist letztlich ein simpler und sehr stiller Film, der fast nur in Innenräumen spielt. In gewisser Weise ein klaustrophobischer, intellektueller Film, beinahe das Gegenteil von „Im Westen nichts Neues“. Ich hatte keine Ahnung, ob ich das kann und kann Ihnen garantieren, dass ich vor jedem Drehtag Angst und Respekt habe. Aber ich wollte es zumindest versuchen.

Zum Abschluss noch einmal zurück zu den Oscars, denn wie Sie schon sagten, hat es so viele Nominierungen noch nie für einen deutschen Film gegeben. Profitiert davon nun die ganze hiesige Branche?

Berger: Das klingt nach einer großen Verantwortung, ich weiß nicht, ob ich die schultern kann. Es gibt allerdings keinen Grund, warum ein Film wie „Lost in Translation“ von Sofia Coppola nicht auch eine deutsche Regisseurin hätte machen können. Es braucht einfach nur den Willen, eine gute Idee und gutes Drehbuch und ein klares, starkes Stilempfinden. Wir müssen uns nur trauen und es wollen. Wenn „Im Westen nichts Neues“ ein ganz kleines bisschen zu dem Gefühl beitragen kann, dass wir alles, was wir uns vornehmen, auch schaffen können, dann wäre das eine wahnsinnige Ehre.

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