Interview

Shirley Manson zurück mit Wucht: „Die Welt braucht mehr Fantasie und weniger Angst“

Nach zwei Jahren im Krankenbett meldet sich Garbage-Frontfrau Shirley Manson mit einem neuen Album zurück – und rechnet mit Altersdiskriminierung und toxischer Männlichkeit ab.

Von 
Marcel Anders
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Garbage-Frontfrau Shirley Manson. © Joseph Cultice

Sie hat sich rar gemacht: Seit der Tour zum letzten Album „No Gods No Masters“ war Shirley Ann Manson - wortgewaltige Frontfrau der amerikanisch-schottischen Band Garbage - wie vom Erdboden verschluckt. Das entspricht so gar nicht ihrer Art: die 58jährige aus Edinburgh ist eine kritische Kommentatorin des Zeitgeists – und geht gerne auf Konfrontationskurs mit den Mächtigen der Welt. Das führt sie nun fort – mit beindruckender Vehemenz.

Frau Manson, wo haben Sie die letzten Jahre gesteckt?

Shirley Manson: Im Bett! (lacht) Aber nicht zum Vergnügen: Ich konnte nicht laufen und hatte solche Schmerzen, dass ich sogar Zaubersprüche eingesetzt habe, um mich schnellstmöglich aus dieser misslichen Lage zu befreien – und wieder gehen zu können, was ich vollkommen neu erlernen musste. Dabei habe ich erkannt, dass ich nicht die Einzige bin, die übernatürliche Kräfte braucht. Die ganze Welt benötigt etwas, das sie heilt.

Darf man fragen, was Ihnen zugestoßen ist?

Manson: Ich bin bei einem Festival in Los Angeles von der Bühne gefallen und auf ein Absperrungsgitter geknallt. Dabei habe ich mir eine derart heftige Hüftverletzung zugezogen, dass ich eine künstliche brauchte – mit zwei Operationen in 18 Monaten. Ich war also fast zwei Jahre ein Pflegefall. Dabei hatte ich noch nie körperliche Probleme – und mich plötzlich so schwach zu fühlen, war eine neue Erfahrung. Eine, die mir nicht gefallen hat - sie machte mir klar, dass ich nicht mehr jung bin. Und noch schlimmer: Dass Leute, die mir das schon vor Jahren gesagt hatten, Recht haben.

Wen meinen Sie?

Manson: Als ich Interviews zu unserem letzten Album gegeben habe – also 2021 – fragte mich eine deutsche Journalistin, wann ich aufzuhören gedenke. Das hat mich echt umgehauen: Ich fühlte mich wirklich angegriffen, dass jemand denkt, ich wäre über den Berg und nicht mehr attraktiv. Dabei habe ich vor, das hier noch eine ganze Weile zu machen – wie Debbie Harry, Chrissie Hynde und Patti Smith, die in ihren 70ern und 80ern sind. Sie zeigen, dass Frauen sehr wohl lange Karrieren haben können.

Zur Band



  • Schlagzeuger und Nirvana-Produzent Butch Vig, Gitarrist Steve Marker, Gitarrist und Keyboarder Duke Erikson und die Sängerin Shirley Manson gründeten 1993 die Alternative Rockband Garbage.
  • Ihr erstes Album „Garbage“ (1995) hielt sich über 100 Wochen in den UK-Charts.
  • 1999 erschien die Single „The World Is Not Enough“ als Titelsong des gleichnamigen James-Bond-Films.
  • „Let All That We Imagine Be The Light“ ist das achte Studioalbum der Band. Es soll am 30. Mai 2025 bei BMG erscheinen.

Eine Kampfansage gegen Altersdiskriminierung?

Manson: Richtig. Ich wollte nicht denselben Ansatz verfolgen, wie beim letzten Album „No Gods No Masters“ – nämlich einfach wütend zu sein. Das hätte mich als Mensch nicht weitergebracht. Insofern schien es mir wichtiger, eine Art Überlebensstrategie zu entwickeln. Außerdem hatte ich bereits 2021 vorhergesagt, was jetzt eingetreten ist. Nur: Damals hat man mich ausgelacht.

Im Ernst?

Manson: Einige Journalisten haben „Men Who Rule The World“ als hysterisch und naiv bezeichnet. Dabei hatte ich Recht, was die Entwicklung der Welt betrifft. Und deshalb muss ich mich nicht weiter damit beschäftigen, sondern kann nach einem Ansatz suchen, der mir über den Hass, die Unterdrückung und Intoleranz hinweghilft. Schreckliche Dinge, die unser aller Leben beherrschen, weil viele Regierungen auf der Welt ihre Pflichten vernachlässigen. Ich habe das Gefühl, dass ich als durchschnittlich intelligente schottische Frau das deutlicher erkenne als diese Idioten, denen es an Weitsicht und Kompetenz mangelt. Und das muss nicht sein: Wir könnten uns aus dieser Lage befreien, wenn wir den Mut hätten, Risiken einzugehen, unsere Fantasie einzusetzen und uns unsere Fehler einzugestehen.

Garbage anno 2025 (von links): Produzent und Drummer Butch Vig, Sängerin Shirley Manson, Gitarrist Steve Marker sowie Duke Erikson (Keyboards, Gitarre). © Joseph Cultice

Macht Sie das zu dem Feuerpferd – dem „Chinese Fire Horse“ -, das Sie auf dem neuen Album besingen?

Manson: (lacht) Vor hunderten von Jahren haben die Chinesen alle weiblichen Feuerpferd-Babys getötet, weil sie als gefährlich galten. Sie hatten den Ruf, Ärger zu machen – weshalb man die Gesellschaft vor ihnen schützen wollte. Und ich fürchte, es herrscht ganz allgemein zu viel Misstrauen gegenüber starken Frauen. Kleinen Jungen wird eingetrichtert, sich vor temperamentvollen Frauen zu schützen, indem sie sie unterdrücken und dominieren. Und ich finde es traurig, dass diese Trennung zwischen den Geschlechtern weiter für Probleme sorgt. Daran müssen wir dringend etwas ändern, um eine gesunde Gesellschaft zu werden, unsere Bedürfnisse und Träume zu realisieren und unsere volle Stärke zu erreichen. Wir müssen auch Raum für unsere Schwächen schaffen.

Warum gehen gerade rechtspopulistisch regierte Länder so radikal gegen progressive gesellschaftliche Ideen vor?

Manson: Aus Angst – weil sie alles fürchten, was ihre Macht infrage stellen könnte. Nur eine eingeschüchterte Gesellschaft ist leicht zu lenken und zu manipulieren. Es ist erschreckend zu beobachten, welches Ausmaß das inzwischen annimmt – wie aus dem faschistischen Lehrbuch, das längst verboten sein sollte. Gegen diese kranke Art des Denkens müssen wir zusammenstehen. Egal, ob es die Farbe unserer Haut, unsere Religion oder unsere Sexualität ist: Wir müssen diesen hasserfüllten Blödsinn stoppen. Ansonsten sind wir dem Untergang geweiht – wie alle großen Zivilisationen vor uns, die sich selbst zerstört haben.

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