Sie sei „FSK 16“, so behauptet Shirin David, die mit vollem Namen Barbara Schirin Davidavicius heißt und im April 30 wird, im gleichnamigen Song, einer Art A-capella-Rap. „Nur weil ich berühmt bin, bin ich noch lange kein Vorbild“, heißt es im Text, und in einem Video, in dem David etwas über ihre neuen Lieder erzählt, weist sie eine eventuelle Mentorinnen-Rolle speziell für junge Mädchen erneut von sich: „Ich bin meine ganz eigene Person und für die Erziehung der Kinder nicht zuständig.“
Andererseits: Es gibt ganz gewiss deutlich schlechtere Vorbilder für junge Teenagerinnen und Teenager als diese Rapperin, Sängerin und Social-Media-Persönlichkeit aus Hamburg, deren Mutter aus Litauen und deren Vater (zu dem sie wenig Kontakt hatte und hat) aus dem Iran stammt. Davidavicius wächst mit ihrer alleinerziehenden Mutter und ihrer jüngeren Schwester Pati, die auch an einigen der neuen Songs mitgeschrieben hat, ohne viel Geld, aber mit viel klassischer Bildung auf. Sie lernt als Kind, Klavier, Geige und Oboe zu spielen, später tanzt sie Ballett und nimmt an der Hamburger Jugendopernakademie Unterricht in Schauspiel, Tanz und Gesang. An der Hamburgischen Staatsoper tritt sie als Kinderdarstellerin auf.
David ist wohl gerade der größte Popstar, den Deutschland hat
Dann jedoch entdeckt sie den Rap, schmeißt kurz vorm Abitur die Schule und startet einen Youtube-Kanal mit inzwischen knapp drei Millionen Abonnenten. Kurzum: Shirin David ist wohl gerade der größte Popstar, den Deutschland hat. Sieben Singles konnte sie bis dato auf Rang eins platzieren, die bisherigen beiden Alben „Supersize“ (2019) und „Bitches brauchen Rap“ liefen ebenfalls famos, und „Bauch Beine Po“, die frisch-fidele und grundsympathische erste Single aus „Schlau aber blond“, erhielt vom Marktforschungsinstitut GfK Entertainment, das auch die Charts ermittelt, die offizielle Ehrung als „Sommerhit des Jahres 2024“.
Shirin David
- Kindheit: Shirin David wurde am 11. April 1995 in Hamburg geboren. Ihr bürgerlicher Name ist Barbara Shirin Davidavicius. Ihre Mutter ist litauischer und ihr Vater iranischer Herkunft. Shirin wuchs in Hamburg auf und besuchte die Jugendmusikschule, wo sie Gesang, Klavier und Oboe lernte.
- Karriere: Sie begann als YouTuberin mit Videos über Beauty und Lifestyle. Schnell gewann sie eine große Fangemeinde. Im Jahr 2015 startete sie ihre Musikkarriere. Ihr Debütalbum „Supersize“ erschien 2019 und erreichte Platz eins der deutschen Charts.
- Jurorin: Neben der Musik war Shirin auch als Jurorin bei „Deutschland sucht den Superstar“ tätig. Sie ist bekannt für ihren extravaganten Stil und ihren Erfolg in den sozialen Medien. Shirin David setzt sich zudem für Diversität und Selbstakzeptanz ein.
- Das neue Album: „Schlau aber blond“ (Universal). dms
Nun folgt also das komplette Album, und erstmal bleibt man natürlich leicht an dem Titel hängen. „Schlau aber blond“. Wie meint sie das denn? Im gleichnamigen Song, so Shirin David, gehe es darum, „sich extra blöd zu verkaufen, um das zu bekommen, was man möchte, weil dein Gegenüber ja eh glaubt, dass du nichts in der Birne hast“. Eine „weise Frau namens Daniela Katzenberger“ habe einmal gesagt: „Sei schlau, stell dich dumm!“ Das könne sie nur unterstreichen und sagt: „Mit Trotteligkeit und Stupidität bekommt man einfacher, was man möchte.“
„Ich sitze oft in einer Fernsehshow und werde unterschätzt“
Mit ihrem ungewöhnlich inszenierten, selbstermächtigenden Powerfrauenfeminismus kommt Shirin David also quasi durch die Hintertür, aber wenn sie erstmal im Raum steht, dann zieht sie die Fäden. Sie sei oft wütend, dass die Dinge so unfair laufen in der Gesellschaft, in der Politik, in den Branchen, in denen sie arbeite.
David – offen bisexuell und operationsoptimiert sowie „100 Prozent gegen die AfD“, wie sie in einem Interview sagte, habe ständig das Gefühl, nicht ganz für voll genommen zu werden, von Männern wie von anderen Frauen. „Ich sitze oft in Meetings oder bei gewissen Herren auf der Couch in einer Fernsehshow und werde unterschätzt. Und doch kommt am Ende alles zu meinem Vorteil raus.“ Alle seien immer überrascht, wenn sie Sätze geradeaus sagen könne. „Egal, wie schlau ich bin, am Ende bin ich halt einfach immer blond.“ Deshalb der Albumtitel. Ein quintessenzieller Shirin-David-Moment: ihr Auftritt bei „Wetten, dass …?“ Ende 2023. Auf Thomas Gottschalks Spruch „Ich hätte dir die Feministin nicht angesehen“, konterte die Künstlerin lässig mit: „Warum denn nicht? Als Feministinnen können wir gut aussehen und klug sein, eloquent und wunderschön zugleich.“
Dieses Statement zieht sich nun gewissermaßen als roter Faden durch das neue Album. Die neuen Songs sind nicht mehr so wütend, hart und schwer wie noch auf dem „Bitches brauchen Rap“-Album. Vielmehr umweht das gesamte Werk eine sanfte Brise des Wohlgefühls. Nach einem langen, grauen Winter kommt die Sonne, und sie heißt Shirin. Das quietschgutgelaunte „Küss mich doch“ etwa, das auf einer „Yachti“ spielt und von Küsschen, Cocktails und Bikini-Glückseligkeit handelt, ist deutlich mehr Pop als Rap. Man fühlt sich musikalisch an die Janet Jackson der Neunziger erinnert, an Bands wie En Vogue oder Salt ’n‘ Pepa.
Das Allermeiste ist ein bisschen „Baden-Baden“
Shirin David bringt hier perfekt ihre Version einer unbeschwerten Leichtigkeit des Seins auf den Punkt. Die Beats hämmern bisweilen („Iconic“) immer noch hart, und manch ein Stück hat, wie „GRWM“, einen laut David „fotzigen Vibe“, aber das Allermeiste ist lässig, leicht, Champagner-launig und so ein bisschen „Baden-Baden“. Jenes schicke Städtchen im Schwarzwald, dessen „bonzige Art“ Shirin sehr schätze, erwähnt sie in „GRWM“ und sagt, irgendwann wolle sie an so einem Ort leben, an dem man „nice“ leben und denken könne: „Wir sind die Geilsten auf dieser Welt.“
Auch über die Liebe singt und rappt Shirin David, in „Größter Fehler“ zum Beispiel oder in „Wenn ich dich seh“. Sie sagt, Liebeslieder seien nicht eben ihre Stärke, aber auch dieses Sujet meistert sie mit Witz, ein wenig Frivolität und ein paar überdurchschnittlich originellen Drehs. Dass sie mithilfe ihrer Songs ihre Fantasien einer „Wifey“, die sich den Spaß vom Geld des Mannes finanzieren lässt, auslebt, sich morgens Matcha Latte und Selleriesalat macht, den restlichen Tag den Luxusbody pflegt und sich extrem ums eigene Wohlbefinden kümmert, sei ihr gegönnt und macht beim Zuhören gleichzeitig Spaß und ein wenig neidisch. Aber in Wirklichkeit besteht kein Zweifel daran, dass diese Musikerin, Unternehmerin und Inspirationsperson sich für ihre Millionen tatsächlich den – gelifteten - Allerwertesten abarbeitet.
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