In seiner neuen Single sehnt sich Herbert Grönemeyer danach, in See zu stechen: "Ich will mehr Schiffsverkehr", singt er zu maschinell pumpenden Schlagzeug-Grooves. Ein in seiner Einfachheit fast schon mysteriöser Satz: Hat der Ur-Bochumer plötzlich den Seefahrer in sich entdeckt? Oder steckt in Zeiten überfüllter Luft- und Straßenwege eine Öko-Message hinter der Schlüsselzeile des neuen Albums?
Ganz so kompliziert ist es dann doch nicht. Zum Meeresmotiv, das sich als roter Faden durch Songs und CD-Gestaltung von "Schiffsverkehr" zieht, hat Grönemeyer sein maritimer Arbeitsort inspiriert. In Stockholm entstand vergangenes Jahr der Großteil der neuen Songs, stets in Blickweite des Hafens bei Mittsommerstimmung. Nur schlüssig also, dass der Songschreiber zur Präsentation von "Schiffsverkehr" ein Boot am Berliner Osthafen chartern ließ: an Bord 200 Journalisten und Medienmenschen. Die anschließende Schiffsfahrt führte zwar nicht auf offene See, doch immerhin die Spree entlang. Während die "MS Mark Brandenburg" an den Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt entlangschippert - vorbei an Oberbaumbrücke, Fernsehturm, Dom und Reichstag - und dabei Buletten und Bier gereicht werden, schallt innen Grönemeyers neues, 13. Studioalbum aus den Lautsprecherboxen.
Angefangen mit dem Titelsong, die seit Februar im Radio läuft: ein gedimmter Rocker mit flackernden E-Gitarren und wuchtigem Schlagzeug; ein Stück, das seine Zeilen um Aufbruch und gefüllte Segel in unheilvolle Klänge taucht. In "Kreuz meinen Weg" schließlich, geben Maschinenbeats und Synthiemassen einen martialischen Ton an, während Grönemeyer durch Verzerrfilter singt: Es ist der wohl technoideste Song, den man von dem Deutschrocker je gehört hat, und vermutlich auch der erste mit Ähnlichkeiten zu Bombastsound à la Rammstein oder Unheilig.
Auf dem Textblatt rückt die Seefahrer-Metaphorik indes in den Hintergrund zugunsten eines Appells an Zivilcourage und Idealismus.
Schon fühlt man sich wieder ganz zu Hause beim Rock-Humanisten Grönemeyer. Bewölkter als zu Beginn wird "Schiffsverkehr" im Verlauf nicht mehr werden, nur einmal türmt sich die Produktion noch mal wuchtig auf: in dem Stück "Auf dem Feld", das Grönemeyer aus dem Blickwinkel eines deutschen Soldaten in Afghanistan singt.
Als das elektrischste Album des Songschreibers wird sich "Schiffsverkehr" aber wohl doch nicht einprägen. Dazu ist der Bogen zu groß, den der 54-Jährige an Stilen und Stimmungen spannt.
Am eindringlichsten wird das Album immer dort, wo der Sänger spürbar persönlich wird, etwa in "Deine Zeit", einem leisen Song, in dem er in einprägsamer lyrischer Sprache das Thema Demenz aufgreift und Beobachtungen der eigenen Mutter beschreibt. Den Song wird er später, als im "Haus der Kulturen der Welt" die offizielle Pressekonferenz eingeläutet wird, nochmals live darbieten: als Solovariante am Bechstein-Flügel. Auch den verdunkelten Titelsong spielt Grönemeyer noch mal am Klavier: Die Güteklasse des Songs mit seinen romantischen Harmoniewechseln erschließt sich auf diese Weise noch intensiver als in der Hochglanzproduktion von Stammproduzent Alex Silva.
Nein, als "Piano-Man" nach Art seines Vorbildes Randy Newman werde man ihn in nächster Zeit wohl nicht erleben, sagt Grönemeyer später den Journalisten. "Ich hab nun mal eine sehr gute Band". Und die soll sich auch nach 30 Jahren an der Seite des Rock-Altmeisters nicht langweilen.
Nach dem eher "zerklüfteten" Vorgängeralbum "12" wollte er ein Album nachlegen, das "nicht zu verschroben ist, nicht zu verkopft", erzählt der Songschreiber. Eben etwas, das nach frischer Brise riecht.
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