Es kommt vor, dass Ludovico Einaudi Kritiken über sich liest, denen etwas Spöttisches anhaftet. "Nett wie Kaffeewerbung" klinge seine Musik, schrieb mal ein Kritiker, ein "Schaumbad für die Ohren" assoziierte ein anderer. An gelegentliche Spitzen aus der Welt der Klassik hat sich der Italiener gewöhnt. Es ändert nichts daran, dass er seine fließende, der Harmonie verpflichtete Instrumentalmusik nicht eindeutig zuordnen mag. Er liebt Pop und hat die Klassik studiert. Welcher Kategorie er angehört, mögen andere entscheiden.
Luciano Berio als Lehrmeister
Studiert hat der Pianist und Komponist einst bei Luciano Berio. Als "meinen wichtigsten Lehrer" beschreibt Einaudi den Pionier der Moderne in unserem Gespräch - trotz "verschiedener Ergebnisse". Einen Namen machte er sich später als Komponist für Film und Ballett, mit der Musik für Giuseppe Piccionis Film "Fuori del Mondo" stieg Einaudi 1999 zum Star seines Metiers auf. Den Schritt vors eigene Publikum, als Performer, machte der Turiner mit den ebenmäßigen Gesichtszügen und der sanften dunklen Stimme erst jetzt, mit Mitte 40 vergleichsweise spät.
Seither sucht er den Austausch mit Musikern aus anderen Kulturen und Künsten: Mit dem Berliner Elektroduo Robert und Ronald Lippok etwa hat er zusammengearbeitet und dem malinesischen Kora-Spieler Ballaké Sissoko; eine Reihe Klavierstücke entstand auch inmitten einer Kunstinstallation von Anselm Kiefer. So unterschiedlich die Impulse, Einaudis gefällige, aber konzentrierte Handschrift bleibt stets unverkennbar. Die Wirkung sanft strömender Stücke wie "I Giorni", "Le Onde" oder "Nightbook", die auf der kürzlich veröffentlichten Werkschau "Islands" versammelt sind, erinnern von fern an den poetischen Minimalstil von Erik Satie oder Philip Glass. Als "spezifisch italienisch" mag Einaudi seine Musik denn auch nicht einordnen. "Vielleicht ist das Lyrische meiner Melodien etwas, das charakteristisch für italienische Musik ist", sagt er. "Andererseits habe ich in Italien auch schon gehört, in meiner Musik klinge etwas Nordeuropäisches an. Ich habe viele meiner Inspirationen auch anderswo gefunden."
Dass man ihn nicht als vergeistigten Musikphilosophen einstuft - damit kann der Spross einer bedeutenden Intellektuellenfamilie leben. "Mich interessieren die Gefühle, die Musik wachrufen kann", sagt er, "Ich sehe in der Musik einen Weg zu Regionen, in denen man mit seinem Inneren in Kontakt treten, zu Balance finden kann."
Dass man Einaudis Stücke auch als einlullend empfinden kann, hängt auch mit seinem Verständnis von Rhythmus und Melodie zusammen. Geprägt wurde es zu Studienzeiten bei Berio. "Da habe ich polyrhythmische Strukturen kennengelernt, wie sie die Musik aus Westafrika prägt", erzählt er. "Von da aus habe ich die Musik Steve Reichs entdeckt, seine Art der Rhythmik. Am prägendsten war es für mich, nach Mali zu reisen und diese Musik live zu hören."
Am Ende auch eine Tasse Kaffee
Zwischen Rhythmik und Melodik sieht Einaudi die Grenzen als fließend. "Beides ist so eng verknüpft", sagt er, "Eine Melodie können wir nur als Melodie wahrnehmen, weil sie auch eine rhythmische Seite hat", findet er. "Umgekehrt haben Rhythmusinstrumente eine melodische Qualität, bestimmte Tonhöhen zum Beispiel. Mal tritt das eine offensichtlicher hervor als das andere. Grundsätzlich möchte ich in meiner Musik eine kontinuierliche Transformation zwischen dem einen und dem anderen erreichen." Sein Prinzip der Offenheit lässt es auch zu, dass es Einaudi seinem Publikum selbst überlässt, welche Bilder im Inneren zu seinen Klängen wachgerufen werden. Und wenn es nur eine Tasse schwarzer Kaffee ist.
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