Büchermarkt - Literatur-Verbände aus dem Land fordern Boykott russischer Publikationen – Verlage in Deutschland, den USA und Frankreich reagieren skeptisch

Riesiges Interesse an ukrainischer Literatur

Von 
Renate Kortheuer-Schüring
Lesedauer: 
Deniz Yücel, Präsident von PEN Deutschland, spricht sich gegen einen Boykott russischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus. © Gerald Matzka/dpa

Ukrainische Literaten in Lebensgefahr, russische Autoren unter Druck – der Krieg Putins gegen die Ukraine hat Auswirkungen auch auf die internationale Literaturszene. Buchhandlungen und Verlage in Deutschland bekunden ihre Solidarität mit der Ukraine. Vielerorts gibt es Lesungen ukrainischer Autoren und Autorinnen oder zumindest ihrer Texte, Diskussionen und #standwithukraine-Bekundungen in Blau-Gelb – wie jüngst beispielsweise beim Lesefest lit.cologne in Köln. Zugleich haben ukrainische Literaturverbände Forderungen erhoben, russische Literaten und Literatinnen zu boykottieren.

Ukrainische Autoren sollen helfen, die Tragödie ihres Landes hierzulande zu begreifen: „Wir verstärken unser Engagement für die ukrainische und belarussische Literatur“, sagte die Lektorin für osteuropäische Literatur beim Suhrkamp Verlag, Katharina Raabe. „Es gibt auf der ganzen Welt jetzt ein riesiges Interesse an diesen Büchern.“ Der Präsident des Schriftstellerverbands PEN Ukraine, Andrej Kurkow, appellierte an die westlichen Verlage, so viele Bücher aus der Ukraine wie nur möglich zu publizieren, Literatur und Sachbücher. Nur so könnten die deutschen Leser die Geschichte der Ukraine, vor allem in Bezug auf Russland, verstehen lernen.

„Der Feind heißt nicht Tolstoi“

Suhrkamp, Diogenes und viele andere, oft kleine Verlage versuchen derzeit Kontakt zu ihren Autoren und Autorinnen im Kriegsgebiet zu halten – aber auch zu den russischen. Einen Boykott russischer Bücher, wie ihn ukrainische Literatur-Verbände forderten, lehnt Raabe ab. Suhrkamp arbeite teils seit Jahrzehnten mit russischen Autoren und Verlagen zusammen, die für Demokratie und Freiheit in Russland gekämpft hätten, da komme man nicht auf die Idee, ihnen kein Platz mehr im Regal einzuräumen. Auch PEN Ukraine hatte einen Boykott russischer Bücher und Verlage gefordert, weil in viele Bücher russische Propaganda eingesickert sei.

Bei deutschen Verlagen, aber auch in den USA und Frankreich, stößt der Boykottaufruf auf Skepsis und Widerstand. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zeigte zwar Verständnis für die Ukrainer, wollte aber die russischen Verlage nicht in Kollektivhaftung nehmen. Die russische Literatur, auch der Gegenwart, sei „ein zu wichtiges Gut, als das sie einer militärischen Eskalation geopfert werden dürfe“, hieß es in einer Stellungnahme. Der deutsche PEN-Präsident Deniz Yücel erklärte: „Der Feind heißt Putin, nicht Puschkin, Tolstoi oder Achmatowa.“ Russische Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Ljudmila Ulitzkaja, Viktor Jerofejew und Wladimir Sorokin äußerten sich kritisch über das Kreml-Regime und den Krieg.

Die Frankfurter Buchmesse will ihre Beziehungen zu russischen Verlagen beibehalten. Russland stehe nach eigenen Angaben auf Platz drei der wichtigsten Lizenznehmer deutscher Verlage, mit knapp 540 Abschlüssen im Jahr 2020. Von der diesjährigen Buchmesse ausgeschlossen werde lediglich der staatlich finanzierte russische Nationalstand.

Ukrainische Schriftsteller und Schriftstellerinnen erheben unterdessen ihre Stimme gegen die russische Invasion. Einige wie Katja Petrowskaja, die in Georgien lebt, schreiben in deutschen Feuilletons und diskutieren auf Podien. Der Autor Serhij Zhadan, der in Charkiw geblieben ist, soll sich der Zivilverteidigung angeschlossen haben. (epd)

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen