Dieser Film schlingt sich einem um die Seele und schnürt sie zusehends ein, ganz wie das Gewächs, auf das der Titel „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ verweist. Die Regiearbeit von Mohammad Rasulof, die beim Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg in der Sektion „Pushing the Boundaries“ läuft, feierte ihre Weltpremiere im Mai beim 77. Filmfestival von Cannes, wo sie den Sonderpreis der Jury gewann. Zudem wurde die iranisch-deutsch-französische Koproduktion als deutscher Beitrag für den Besten Internationalen Film bei der kommenden Oscarverleihung ausgewählt. Auf der dunklen Seite dieses Glanzes liegen die tragisch-traumatische Geschichte, die hier verhandelt wird, und die Repressionen, die das Filmteam und Rasulof seitens des iranischen Regimes erleiden mussten. Der Regisseur wurde zu mehrjähriger Haft und Peitschenhieben verurteilt, konnte aber das Land verlassen.
Rasulofs Werk folgt einem Ehepaar und dessen zwei Töchtern durch die Zeit der Proteste im Iran, die auf den Tod von Jina Mahsa Amini folgten, die 2022 nach ihrer Verhaftung durch die Sittenpolizei im Behördengewahrsam starb. Der Vater, Iman (gespielt von Missagh Zareh), wird zum Ermittler am Revolutionsgericht befördert, was bedeutet, dass er auch unzählige Todesurteile unterschreiben muss. Bald brechen die Proteste (die durch reale, brutale Handyaufnahmen in den Film geschnitten wurden) in die Familie ein.
Ein erschütternder, hervorragend gespielter Film
Die Handlung wird zum allegorischen Spiegel der Außenwelt, und Iman, der zunehmend wahnhafte Züge zeigt, nachdem seine Pistole verschwunden ist, richtet die Waffe schließlich gegen seine Tochter: Die Wächter der Revolution fressen gleichsam eher ihre eigenen Kinder, als das System und ihre Glaubenssätze in Frage zu stellen. „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ ist ein erschütternder, beklemmender, hervorragend gespielter und visuell in Szene gesetzter Film.
Mit familiären und zwischenmenschlichen Beziehungen befasst sich – wenngleich in denkbar verschiedener Form – im selben Festival-Segment auch „By The Stream“, ein Film des südkoreanischen Regisseurs und Autors Hong Sang-soo. Die Dozentin und Künstlerin Jeonim (Kim Min-hee) bittet hier ihren Onkel Sieon (Kwon Hae-hyo), einst ein gefeierter Schauspieler, zu dem sie aber über viele Jahre keinen Kontakt hatte, ein kleines Theaterstück an ihrer Universität zu inszenieren. Darüber nähern sich auch Sieon und Jeonims Professorin (Cho Yun-hee) einander an. Der Regisseur arbeitet in seinem neuen Werk wieder mit langen Einstellungen und wenigen Szenenbildern, vieles wirkt improvisiert, aus der Alltäglichkeit des Lebens gegriffen. Oft finden die Figuren redend am Essenstisch zusammen, wo sie von Reue, Konflikten und Träumen sprechen – und wo sie sich neu finden, Aufbrüche denken und wagen. Von alldem erzählt Hong Sang-soo mit wundersamer wie unprätentiöser Sensibilität.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/kultur_artikel,-kultur-revolution-verschlingt-ihre-kinder-_arid,2259273.html