Cannes

Pompöse Premiere in Cannes

Von 
Patrick Heidmann
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Austin Butler stellt in Cannes den Film „Elvis“ vor. © Joel C Ryan/Invision/AP/dpa

Im Endspurt hat sich das Festival von Cannes in diesem Jahr noch einmal wirklich ins Zeug gelegt, sowohl was das Spektakel als auch was die Qualität der Wettbewerbsbeiträge angeht. Für Ersteres war der australische Regisseur Baz Luhrmann zuständig, der von Pomp und Pracht („Moulin Rouge!“, „The Great Gatsby“) einiges versteht. Bei keinem Film war dieses Jahr an der Croisette der Ansturm so groß wie zur außer Konkurrenz gezeigten Weltpremiere seines Biopics „Elvis“; als Gäste kamen neben der Witwe des Titelhelden, Priscilla Presley, auch Popstars wie Kylie Minogue, Shakira, Ricky Martin oder die Vorjahres-Eurovision-Gewinner Måneskin, die sogar auf dem Soundtrack vertreten sind.

Der Film, der recht wahrheitsgetreu Presleys Leben erzählt – auch die Ausbeutung durch seinen Manager Colonel Parker (Tom Hanks) –, brachte einen Energieschub ins Festival, der sich nicht nur dem Rock ‘n’ Roll verdankte, sondern Luhrmanns gewohnt prunkvoller Inszenierung. Der als Teenie-Star bekannte Austin Butler liefert als Elvis eine Tour de Force ab, die auch stimmlich und tänzerisch überzeugt.

Feinsinn statt Oberfläche war in „Broker“ von Hirokazu Koreeda angesagt. Nach einem Abstecher nach Frankreich zieht es den Japaner dieses Mal nach Südkorea: Zwei Männer wollen ein an einer Babyklappe anonym abgegebenes Kind an adoptionswillige Eltern verkaufen, doch entwickelt sich alles anders als geplant. Nicht nur müssen sie bald die junge Mutter an ihrem Geschäft beteiligen und sich um einen Jungen aus einem Waisenhaus kümmern, sondern haben bald auch zwei ehrgeizige Polizistinnen und einige Gangster an den Fersen. Was klingt wie ein krude konstruierter Thriller, entpuppt sich als zarter, manchmal sentimentaler Roadtrip. Thematisch ist das nah dran an Koreedas großem Erfolg „Shoplifters“, für den es 2018 die Goldene Palme gab.

Herzzerreißende Inszenierung

Echte Chancen auf die diesjährige Palme, die an diesem Samstagabend verliehen wird, hat „Close“, der zweite Spielfilm des 31-jährigen Belgiers Lukas Dhont. Mit viel Feingefühl widmet er sich der fast symbiotischen Freundschaft von Léo (herausragend: Eden Dambrine) und Rémi (Gustav de Waele) und einer im Spannungsfeld von Brüderlichkeit und Erotik noch undefinierten Nähe und Zärtlichkeit. Womöglich zwangsläufig kann eine solche Beziehung das Einsetzen der Pubertät nicht ohne gravierende Veränderungen überstehen. Dhont inszeniert das auf so bezwingende, dichte und herzzerreißende Weise, dass einem mitunter der Atem stockte.

Doch auch Park Chan-wooks „Decision to Leave“, „Holy Spider“ von Ali Abbasi, das Sozialdrama „Tori & Lokita“ der Dardenne-Brüder oder das iranische Familiendrama „Leila’s Brothers“ von Saeed Roustayi werden zu den Favoriten gezählt. Und die amerikanische Regisseurin Kelly Reichardt, die am Freitagabend noch ihre humorvolle Künstlerinnen-Biografie „Showing Up“ mit Michelle Williams ins Rennen schickte, würde sicher ebenfalls gerne noch ein Wörtchen mitreden.

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