Heidelberg. Ein exzentrisch lautes Lachen schneidet messerscharf durch die Gespräche des im Foyer wartenden Publikums. Eine Tänzerin vom Dance Theatre Heidelberg bahnt sich den Weg zum Marguerre-Saal auf die Bühne. Dort wartet das Ensemble, elegant in schwarze Hosen und Hemden oder Shirts gekleidet, wie es der Maler Jackson Pollock pflegte. Sie könnten Museumsbesucher sein, denn durch die raffiniert von Sam Beklik gestaltete rechte und linke Bühnenwand – von oben herab ist sie mit schwarzer Farbe bemalt, die tropfenförmig ins untere Weiß ausläuft – fühlt man sich an ein Atelier oder einen Museumsraum erinnert. Dazu laden weiße mobile Kuben auf hellem Bühnenboden zum Sitzen ein. Im Hintergrund allerdings ist auf einer Empore und hinter Gaze das Heidelberger Philharmonische Orchester platziert wie ein geisterhaftes Organ für die Seelenwelt eines „Pollock“.
Und genau das erzeugt das Orchester meisterhaft mit der komplexen Komposition von Yamila Rios und dem musikalischen Arrangement von Andrew Digby. Schon zu Beginn sind in die schrillen Klänge, die wie Sirenen mahnen, kurze glockenartige Töne von den Musikern eingewoben. Sie wiederum lassen im Geiste Bilder von Tropfen entstehen, die ein Jackson Pollock mit seinem ganzen Körpereinsatz auf die weiße Leinwand unter ihm am Boden geworfenen haben könnte. In dieser Musik, fantastisch gespielt vom Heidelberger Orchester, ist schon alles enthalten, was „Pollock“ auszeichnet: widerstreitende Kräfte im kreativen Lebensprozess.
Man könnte sich aber auch fragen, warum „Pollock“? Gibt es keine drängenderen Themen, als einen genialen Maler zu verkörpern, der längst mit seinen stilprägenden „Action Paintings“ in die Kunstgeschichte als Erneuerer und abstrakter Expressionist eingegangen ist?
Mitte der 1940er Jahre bedient Jackson Pollock sich einer als „dripping“ bezeichneten Maltechnik – er hat sie der Malerin Janet Sobel abgeschaut – und wirft die Farbe mit Pinsel oder Stock direkt aus der Farbdose auf die Leinwand. Diese wiederum legt er direkt auf den Boden, so dass er sich frei um sie herumbewegen kann.
Der malerische Prozess übertragen in eine tänzerische Form
Iván Pérez greift diesen Erneuerungsprozess auf und zeigt sein Ensemble anfangs noch bewegungslos wie vor eine Staffelei gestellt oder in eingefrorenen Haltungen auf einem Kubus sitzend mit erhobenem Arm – den Pinsel imaginiert. Erst nach und nach kommt Bewegung in die Choreografie – noch setzen die Tänzer mehr mit den Armen Formen in die Luft; bald kommen Hüft- und Beinschwünge und einzelne farbige Kleidungsstücke in den wunderbaren Kostümen von Naomi Kean hinzu. Und immer wieder stoppt alles, kommt zurück in die Stille, für ein weiteres Kapitel. Eindrucksvoll ist ein Duett, das den Künstler Pollock in Beziehung zeigt zu einer oder zu seiner Frau – der Malerin Lee Krasner. Im Tanz kreisen die beiden um-, für-, in- und gegeneinander mit scheinbar einfachen Bewegungen, die einen komplexen Kosmos aus Emotionen transportieren und von der hohen Kunst eines Iván Pérez zeugen. Er brennt für die Bilder des Malers, sein kreatives Potenzial, das uns in Tanz und Musik noch mal anders offenbart wird.
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