Worms. Die Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein, und dies nicht erst in neuester Zeit. Außerdem gilt diese Erkenntnis nicht nur für die wirkliche Welt, sondern auch für deren Widerspiegelung im aginären Kosmos der Kunst. Ein Beispiel, das diese These stützt, ist die aktuelle Ausstellung der Werke des Malers Norbert Bisky im Wormser Andreasstift. Für den Künstler stand schon immer fest, dass nichts feststeht.
Betritt man das wundervolle gotische Kirchenschiff des Andreasstiftes und schaut zum Chor, so kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das 300 x 750 Zentimeter große Monumentalgemälde mit dem simplen Titel „Sunday“ führt den Blick in die Unendlichkeit. Von irgendwoher stürzen Figuren oder Fragmente auf ein imaginäres Zentrum zu, das sich außerhalb des Bildraums zu befinden scheint. Die Farben sind auffallend hell und optimistisch. Sie erinnern an Pop-Art und zugleich an die aufmunternden Wandbilder in der Art des sozialistischen Realismus.
Künstler und Ausstellung
- Norbert Bisky wurde 1970 in Leipzig geboren. Er studierte an der Universität der Künste in Berlin und an der Universidad Complutense in Madrid. Er nahm an der Salzburger Sommerakademie in der Klasse von Jim Dine teil und war Meisterschüler bei Georg Baselitz.
- Er hatte Gastprofessuren an der Genfer Kunstakademie HEAD (2010) und an der Kunstakademie Braunschweig (2016-2018).
- Ausstellungen hatte er unter anderem im Kunstmuseum Bern, im Lettischen Museum Riga, in der Kunsthalle Rostock oder im Tel Aviv Museum of Arts.
- Die Ausstellung in Worms im Andreasstift (Weckerlingplatz 7) dauert bis zum 29. September. Der Eintritt kostet 9 Euro, ermäßigt 7 Euro.
- Weitere Informationen und Tickets gibt es unter
- www.museum-andreasstift.de
Karrieretechnisch gesehen ist Bisky, der unter anderem bei Georg Baselitz studiert hat, ein Senkrechtstarter. Einzelausstellungen in internationalen Galerien, Museen und Kunsthallen machten sein Werk weltweit bekannt. Hinzu kamen Einladungen zu Inszenierungen, so Wagner in der Staatsoper Stuttgart, sowie Lehraufträge und Gastprofessuren. Die Arbeiten des Künstlers fanden schon zu dessen Anfangszeiten so rasch Abnehmer, dass er mit dem Malen kaum hinterherkam. Auch ein Großteil der Werke, die in Worms zu sehen sind, wurden bereits vor längerer Zeit verkauft. Die neun Walküren, die in Worms den Schwerpunkt bilden, sind Leihgaben.
Bisky versteht seine Walküren als multiethnisch und divers
„Es ist das erste Mal, dass ich diese Werke in einem Raum zusammen sehe“, freut sich der Künstler, der seine Ausstellung im Andreasstift speziell für das Gebäude konzipiert hat. Mit den Walküren stellt er eine Brücke zu Worms her und zu den Nibelungenfestspielen, in dessen Rahmen die Kunstausstellung stattfindet.
Die Nibelungen sind auf den ersten Blick untrennbar mit der musikalischen Schöpfung Richard Wagners verbunden. Bisky hat künstlerisch bei Wagnerinszenierungen der Staatsoper Stuttgart mitgewirkt. Allerdings möchte er heute seine Walküren aus dem Kontext Wagner herausgelöst sehen. Multiethnisch und divers will er seine Geschöpfe verstanden wissen, als freundliche Töchter Odins, die die Seelen der gefallenen Krieger liebevoll gen Walhall geleiten. Künstlerisch stellen diese Werke einen Wendepunkt im Schaffen Biskys dar. Man spürt darin das Licht Andalusiens, wo er, neben Berlin, ein zweites Atelier betreibt. Die koloristische Dramaturgie des Barockmalers Francisco de Zurbarán mit ihren sublimen Farbtönen hat er bei der Walküre Gerhilde in seidig glänzende kupferbraune Töne verwandelt. Von exotischer Schönheit zeigt sich dagegen die Farbe bei dem Porträt der Walküre Siegrune, der Schwester Gerhildes. Es sind Porträts, die Bisky hier malt, aber gleichzeitig wehrt er sich gegen diese Kategorisierung. „Beim Porträt“, so der Künstler, „handelt es sich um eine bestimmte Person. Darum geht es mir hierbei nicht.“
Schaut man auf die charakteristischen Wesenszüge von Nobert Biskys Malerei, so fällt vor allem das Wechselspiel zwischen abstrakt-informellen Partien und der pointierten Figuration ins Blickfeld. Was in der Zeit der DDR als ideologisch gegensätzlich galt (Formalismus), zeigt sich hier spielerisch überwunden. Ein weiteres Merkmal bei den Arbeiten Biskys ist das Streben nach der Überwindung der Formatgrenzen. Manches erinnert dabei an Graffiti an Häusern- oder Brückenwänden.
Schmoll von Eisenwerths Nibelungenzyklus im Kontrast
Neben den Gemälden im Kirchenschiff und im Chorraum gibt es in einem Seitenkabinett auch Arbeiten auf Papier zu sehen. Besonders die Aquarelle des Künstlers lassen erkennen, wie spielerisch er mit dem Medium umgeht. Mit nur wenigen Pinselstrichen gelingt es den Raum zu definieren. Die Kunst liegt hierbei in der Ausdruckskraft der Reduktion.
Begleitet wird die Ausstellung von einer Präsentation der Zeichnungen Karl Schmoll von Eisenwerths. Hierbei handelt es sich um die Vorzeichnungen der Gemälde, die sich einst im Wormser Cornelianum befanden, einem Gebäude, das im Krieg unterging. Der 1879 in Wien geborene Künstler gehörte zu den Protagonisten des Jugendstils. Von 1907 bis 1946 war er Professor an der Technischen Hochschule Stuttgart. Bei aller Monumentalität sind die hier dargestellten Figuren keine strahlenden Helden. Sie scheinen vielmehr in ihrer kraftvollen Präsens ihr tragisches Schicksal bereits zu antizipieren.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/kultur_artikel,-kultur-norbert-biskys-walkuerenritt-in-worms-_arid,2226223.html