Worms. Einen Haufen Kohle, Heu oder Kies zu haben, ach, wäre das nicht herrlich? Das reine Glück, glatt, leuchtend und verheißungsvoll wie pures Gold. Dass Geld nicht glücklich macht - und nicht mal beruhigt -, haben Regisseurin Mina Salehpour und Autor Roland Schimmelpfennig am Wochenende in Worms bewiesen, wo mit der Premiere von „See aus Asche - Das Lied der Nibelungen“ feierlich Nico Hofmanns Festspiele eröffnet wurden.
Kies gibt es hier zuhauf, ganze 600 Tonnen sind, wie zuvor berichtet, vor dem Dom effektvoll apokalyptisch aufgeschüttet worden. Dass Geld auch Arbeit machen kann, beweist der großartig lakonische Wolfram Koch in der Wormser Schicksalsmacherrolle des Hagen, der ganz und gar kein grimmer ist.
Unmengen an Kies und massenweise „Monoblock Lyra weiß“
Er schippt und schippt den Kies auf den Thronberg, bis über 1400 Zuschauer auf der Tribüne Platz genommen haben. Eine echte Sisiyphos-Arbeit, scheint es. Doch will er partout die Macht der Burgunder festigen, ist Hagen von Tronje doch Lehnsmann König Gunters (Hans Werner Leupelt) und liebt noch dazu auf unsagbare und unbeschreibbare Weise dessen Schwester, die schöne Kriemhild (Kriemhild Hamann). Im Kostüm von Maria Anderski trägt sie schon zu Beginn einen blutigen Scheitel. Da kommt was. Hagens Liebesbriefe sind nur rudimentäres Gestammel und eines der Leitmotive, die diese inklusive Pause dreistündige Inszenierung durchziehen.
Das Spiel vor dem Dom
- Das Nibelungenensemble 2025 Ensemble: Volker, der Spielmann: Andreas Grötzinger, Hagen: Wolfram Koch, Brunhild / Der Drache: Jasmin Tabatabai, Siegfried: Eivin Nilsen Salthe, Gunter: Hans-Werner Leupelt, Kriemhild: Kriemhild Hamann, Gieselher: Denis Geyersbach, Das Blatt: Lisa Natalie Arnold.
- Der Autor: Roland Schimmelpfennig , 1967 in Göttingen geboren, studierte Regie an der Otto-Falckenberg-Schule in München und war Mitglied der künstlerischen Leitung der Münchner Kammerspiele, der Berliner Schaubühne, des Wiener Burgtheater und der Berliner Volksbühne .
- „See aus Asche“, sein Auftragswerk für die Wormser Nibelungenfestspiele , ist von 11. bis 27. Juli an 16 Terminen vor dem Nordportal des Wormser Doms zu sehen. Die gesamte Spielzeit ist bereits ausverkauft .
Andrea Wagner arbeitet prinzipiell mit Naturmaterialien und bringt die Nachhaltigkeitsbilanz der Festspiele sicher voran. Ihr Bühnenbild gibt stapfende Bewegungen vor, ist beeindruckend monumental, wenn auf Dauer auch ein wenig eintönig. Einzig das gute Hundert an Stapelstühlen („Monoblock Lyra weiß“) aus Billig-Plastik könnte da die Öko-Bilanz verhageln. Fraglos aber ist: Man hat ein Konzept. Und ein gutes Stück. Macht das in Summe einen guten Theaterabend?
Ein Nibelungenlied, das sich schwer singen lässt
Das Nibelungenlied, das hier von Volker dem Spielmann (Andreas Grötzinger) gesungen werden soll, nimmt nicht so recht Fahrt auf. Ein Gute-Laune-Song wird das nicht. Die Saiten reißen ihm, die Finger auch. Blut, obwohl es im Text in Mengen fließt, ist ebenso gestrichen wie weite Textpassagen. Hier am Rheine lässt sich niemand gerne nieder, denn böse Menschen, so weiß der Volksmund, kennen keine Lieder.
Warum sich gerade Siegfried, vom kernigen Norweger Eivin Nilsen Salthe weder heldisch noch dümmlich, sondern eher schicksalsergeben gespielt, hier niederlassen will, bleibt das Rätsel des Abends. Bestimmung eben. In Schuldfragen ist er am Hofe des Burgunderkönigs Gunter allerdings richtig. Mit der Tötung des Drachens aus Geldgier und der Inbesitznahme des Hortes ist Siegfried schuldig an der Natur geworden.
Jasmin Tabatabai, die Brunhild und den Drachen - und in grausiger Summe so die vom Mann vergewaltigte Natur - spielt, macht es textlich wie darstellerisch höchst deutlich „Wenn du mich umbringst, bringst du am Ende dich mit mir um.“ Die Natur weiß Bescheid: „Ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft, der Atem und das Geheimnis und der Hüter der Welt.“ War Tabatabai anno 2006/2007 in zwei Fassungen Moritz Rinkes vor dem Wormser Dom noch als Kriemhild im Nibelungeneinsatz, steht ihr die „Königin des Nordwinds“ nun besser zu Gesichte. Ihre hinzugewonnene darstellerische Reife macht Brunhild groß.
Die Rolle ist bei Schimmelpfennig von noch wesentlich größerer dramatischer Fallhöhe, doch Mina Salehpour hat dem Text und den zahlreichen pralleren Theaterangeboten des Autors die große Ruhe eines intellektuellen Kammerspiels verordnet. Der Ernsthaftigkeit schadet das nicht, der Theatersinnlichkeit durchaus.
Der magische Realismus und die Sinnlichkeit eines Konzepts
Wie gesagt, man hat ein Konzept. Dem - Achtung, jetzt wird es kurz theaterwissenschaftlich - magischen Realismus mit seinem anti-illusionistischen Narrativ mit der Vermeidung jeglicher plakativen Authentizität zu begegnen, ist mutig. Wo Lindenblätter (stark: Lisa Natalie Arnold) und ein Schwert (Denis Geyersbach) sprechen können, ist die Illusion eines Einfühlungstheaters eigentlich dahin. Man verlegt in die Erzählung, was sonst in Dialogen geschieht. Die Figuren sprechen von sich, schauen, dem Zuschauer gleich, von außen auf ihre Figur. Irgendwann ist es dann ein wenig zu viel Mauerschau, zu viel außen, über und drumherum. Längen und Zuordnungsverwirrungen machen sich breit.
Dass des Sprachkünstlers Schimmelpfennig literarisches Verfahren glänzend funktioniert, ist bekannt. Ob es aber gerade in Kombination mit der systematischen Spektakelvermeidung der Regisseurin aufblüht, ist fraglich. Licht (Eivind Myren), Musik (Sandro Tajouri) und Video (Kate Ledina) sind kunstvoll spärlich und selbst der Dom darf diesmal nicht mitspielen. Der kurz lodernde See darf da als reines Zugeständnis gelten.
Der Riesenfläche vor dem Dom wie dem Zuschauerauge hätte das eine oder andere zusätzliche Effektchen gar nicht schlecht getan. Das durchdachte Konzept wird zu konsequent durchgezogen, was einem teils brillanten Text, großen Schauspielleistungen und einem großen Ort die Theatralität nimmt, die sie vertragen hätten. Seien wir unbesorgt: Das gute alte Stadttheater wird diesem Stück bald sinnvoll sinnlich nahekommen.
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