Tanz ist eine flüchtige Kunstform. Das Live-Erlebnis einer Aufführung ist niemals vollständig reproduzierbar. Was bleibt, ist die Erinnerung derer, die dabei waren, vielleicht eine filmische Aufzeichnung und die geschriebene oder gesprochene Kritik – der Versuch, das sinnlich und körperlich Erlebte in Worte zu fassen. Nicht immer sehen Tänzer und Choreographen ihr Werk angemessen beschrieben und bewertet. Doch was ist „angemessen“? Was kann, was sollte eine Rezension transportieren? Und vor allem: Welchen Nutzen haben Kritiken für die Akteure und fürs Publikum? Diesen Fragen geht der Heidelberger Choreograph Edan Gorlicki in einem interessanten Experiment nach. „Re-View“ heißt sein Forschungsprojekt, das er beim „Unpolished Wednesday“ im Probenraum des Mannheimer Eintanzhauses rund 20 Interessierten vorstellte. Das neue Format wurde von Flux, einem noch jungen Verein für Tanz- und Performance-Künste mit Mitgliedern der freien Szene in der Region, entwickelt.
Jeden Monat werden zwei Künstler eingeladen, Einblicke in gerade entstehende Arbeiten zu geben. Zu sehen ist wohlgemerkt nichts Fertiges, sondern auf maximal 20 Minuten komprimierte Exzerpte und Entwürfe. Meinungen der Zuschauer sind im anschließenden Feedback-Gespräch ausdrücklich erwünscht.
Kaum zehn Minuten dauert das Solo, das Gorlicki mit Amy Josh erarbeitet hat. Die Tänzerin ist hinreißend als Kämpferin, die zunächst in Zeitlupe Schwerter schwingt, die Arme zu heroischen Posen erhebt und sich kraftvoll dem Tempo des einsetzenden Techno-Beats hingibt. Der zweite Teil der Performance setzt einen heiteren Kontrast: Amy Josh streift Lederrock und -jacke ab, um leichtfüßig im Regenbogenkleidchen zu Discomusik umherzutanzen. Hinterher verrät der Choreograph: Das Gezeigte basiert ausschließlich auf dem Text einer Rezension eines Stückes, das weder Gorlicki noch Josh je gesehen haben.
Mit dem Projekt will Edan Gorlicki zum Wechsel der Perspektive einladen und einen Dialog in Gang bringen: zwischen Künstlern und Kunstkritikern, die oft eine Hassliebe verbindet, aber auch mit dem Publikum, das diese Dreiecksbeziehung komplettiert.
Die lebhafte Diskussion zeigt: Gorlickis Idee, ein Workshop-Format für einen intensiveren Austausch über Sinn und Zweck und nützliche Inhalte von Kritiken zu entwickeln, könnte einige Missverständnisse beseitigen helfen.
Während Edan Gorlicki Worte in Bewegung übersetzt, sind Miriam Markls Ausgangspunkt Zahlen. „Dancing by numbers“ ist eine künstlerische Recherche, die sie in drei Auszügen vorstellt. Szene eins: In der Dunkelheit des Raums leuchtet ein mit bunten Lichtern besetztes Tutu auf. Seilspringend zählt Markl: 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21 … die Fibonacci-Folge. Szene zwei: Die Bewegungskünstlerin formt die Arme zu Winkeln, vermisst den eigenen Körper und den Raum. Szene drei ist ein Spiel gemeinsam mit den Zuschauern, die die anschließende Frage „Was hast du gesehen?“ zur Freude der Tänzerin facettenreich beantworten. Eine „ergebnisoffene Recherche“ sei das Projekt derzeit, sagt Markl. Spannung, wie es weitergeht, hat der „Unpolished Wednesday“ geweckt.
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