Sechs Dekaden Livemusik sind genug, meint Mark Knopfler. Ab sofort will sich der 74-Jährige der reinen Studio-Arbeit widmen. Ein Tribut an seine Gesundheit, seine Ehe, aber auch eine Industrie, die ihm so gar nicht gefällt. Das zehnte Solo-Album des Altmeisters, „One Deep River“, ist denn auch die Antithese zur musikalischen Moderne – wie er selbst.
Herr Knopfler, bis zur Pandemie haben Sie alle zwei Jahre ein neues Album veröffentlicht. Das neue hat dagegen sechs gedauert. Hat Sie Covid ausgebremst? Oder wie viele Songs haben Sie in der Zeit geschrieben?
Mark Knopfler: Eine Menge. Damit ließen sich glatt ein paar Alben füllen. Aber ich habe mich drei Mal mit Covid infiziert – einmal richtig übel. Deshalb fiel mir das Gitarrespielen nicht leicht – und darunter leide ich immer noch. Außerdem habe ich viele Freunde verloren. Aber das Schlimmste war, dass uns die Pandemie ein paar Lebensjahre geklaut hat. Das ist es, was mich am meisten ärgert – die verlorene Zeit.
Haben Sie deshalb „Ahead Of The Game“ geschrieben – eine Hommage an die Livemusik?
Knopfler: Es gibt nichts Besseres – und daran wird sich nie etwas ändern. Ich habe einen guten Kumpel, der seinen Lebensunterhalt mit einer Coverband verdient, die nur Hits spielt. Er hat so viel Arbeit, dass er kaum hinterherkommt, denn in England ist das extrem angesagt. Die Leute gehen aus, um ein paar Drinks zu nehmen, ein paar Hits mitzusingen und ein bisschen zu tanzen. Ich finde das toll. Das Einzige, was mir Sorgen macht: Für viele Musiker scheint das Covern die einzige Möglichkeit zu sein, um finanziell über die Runden zu kommen. Eben weil die Konkurrenz so groß und die Bezahlung so schlecht ist. Mir hat mal jemand erzählt, wie viele Songs täglich auf Spotify hinzugefügt werden – das ist der Wahnsinn.
Zur Person
- Mark Knopfler wurde 1949 in Glasgow geboren.
- Knopfler war Mitbegründer und Kopf der britischen Rockband Dire Straits („Sultans of Swing“, „Romeo and Juliet“, „Money for Nothing“), mit der er als Sänger, Songwriter und Gitarrist weltberühmt wurde.
- Das Dire-Straits-Album „Brothers in Arms“ (1985) ist eines der erfolgreichsten der Musikgeschichte.
- Am 12. April erscheint sein zehntes Soloalbum „One Deep River“ (Universal).
Also nicht zu vergleichen mit Ihren Anfangstagen?
Knopfler: Definitiv! Ich stelle es mir heute unglaublich schwer vor, das zu erreichen, was uns damals relativ schnell gelungen ist: der Sprung von den kleinen Clubs in die Stadthallen und Theatersäle. Das war der Lauf der Dinge, an dem keiner vorbeikam. Nur: Wollte man sich heute in diesem Zirkel hocharbeiten, müsste man wohl gratis spielen – weil die Leute nur noch Geld für Superstars ausgeben. Und ich weiß nicht, woher junge Bands das Geld zum Tanken nehmen. Wahrscheinlich verschulden sie sich über beide Ohren. Dabei sollte das Live-Ding doch das sein, was dich am Leben hält. Plattenverkäufe sind es bestimmt nicht – weil die Kids keine Alben mehr kaufen. Ich selbst toure zum Beispiel gar nicht mehr. Insofern kann ich nur hoffen, dass ich zumindest etwas durch Airplay verdiene.
Die neuen Songs drehen sich um Stationen aus Ihrem Leben und um historische Ereignisse – wie „Tunnel 13“ über einen Eisenbahnraub im Wilden Westen. Stimmt es, dass aus diesem Schienenholz jetzt Ihre Gitarren gebaut werden?
Knopfler: (lacht) Das ist die makabre Wahrheit, die dafür sorgt, dass man sich Gedanken macht, was Gewaltverbrechen und Kriege alles bewirken können. Eben dass daraus durchaus etwas Positives resultieren kann. Dieser Tunnel steht ja eigentlich für ein schreckliches Verbrechen. Aber Jahrhunderte später ist daraus etwas Wunderbares geworden.
Und der Albumtitel „One Deep River“ – meinen Sie den Fluss Tyne in Ihrer Heimatstadt Newcastle oder sich selbst? Sind Sie wie ein langer, tiefer Fluss?
Knopfler: Das überlasse ich dem Hörer – es ist, was immer er will. Ich habe aufgehört, das zu erklären, weil ich mich da so hineinsteigere und so weit aushole, dass es vielen, die mich fragen, einfach zu viel ist. (lacht) Insofern mache ich es mir und den Lesern jetzt leicht: Es ist alles, was man darin zu erkennen glaubt. Und: Alle haben recht.
Sie sagen, dass Sie mit dem Album nicht auf Tour gehen. Wie kommt’s? Vermissen Sie die Bühne so gar nicht?
Knopfler: Doch, sehr sogar. Aber ich weiß auch, wann ich an meine körperlichen Grenzen stoße. Außerdem ist es mir wichtig, Zeit mit meiner Frau zu verbringen und das Beste aus den Jahren zu machen, die uns bleiben. Ich habe nicht vor, auf irgendeiner Autobahn zu verrecken. Das ist nicht das Ende, das mir vorschwebt.
Wie wäre es dann mit ein paar Shows in London – ohne Reise-Stress?
Knopfler: In meiner aktuellen Form wäre ich zu rostig, um auch nur ein paar Gigs zu bestreiten. Insofern wäre das genauso anstrengend, wie sich auf eine lange Konzertreihe vorzubereiten – mit Proben, Aufwärmkonzerten und dem ganzen Kram. Zumal: Am Ende würde es dann wieder auf eine komplette Tournee hinauslaufen. Das habe ich schon so oft erlebt. Und: Ich habe kein Verlangen danach. Es ist besser für meine Ehe und meine Gesundheit, wenn ich die Finger davon lasse.
Aber die Stones und The Who haben großen Spaß dabei.
Knopfler: Schön für sie. Ich denke da anders. Für mich ist es dasselbe wie mit Motorrädern: Die bin ich jahrelang gefahren, würde das aber nicht mehr hinbekommen, weil es im Nacken und den Handgelenken schmerzt. Ich sitze heute lieber kerzengrade – wie ein Großvater. Das fällt meinem Körper leichter.
Ist der Rückzug von der Bühne auch der Grund, warum Sie sich im Januar von 120 Gitarren aus Ihrer Sammlung getrennt haben?
Knopfler: Das musste ich, weil sie Staub angesetzt haben. Dabei müssen sie gespielt werden. Gitarren sind wie gute Freunde – sie sind dazu da, um Spaß mit ihnen zu haben. Insofern war die Christie-Auktion eine Gelegenheit, eine Menge Instrumente auf einen Schlag wegzugeben – an Menschen, die sich besser um sie kümmern als ich. Da ist zum Beispiel eine kleine grüne Guild-Gitarre, die ich kaum benutzt habe. Sie wartet nur darauf, sich mit jemand anzufreunden – und ihn mit dem einen oder anderen Song zu beglücken.
Gleichzeitig haben Sie eine neue Version von „Going Home: Theme Of Local Hero“ aufgenommen – eine Benefizaktion mit über 60 Musikerfreunden. Warum haben Sie die nicht fürs Album eingespannt?
Knopfler: Weil es etwas von einem Kavallerieangriff hatte – und ich kaum hinterhergekommen bin. Es war einer nach dem anderen, und ich bin gar nicht auf den Gedanken gekommen, sie für mehr einzuspannen, als sie ohnehin zu geben bereit waren. Ich meine, ich konnte es kaum fassen, dass da jeder von Hank Marvin bis Bruce Springsteen mitgemacht hat – die Liste der Beteiligten war endlos. Joe Bonamassa hat etwas aus den Staaten geschickt, Eric Clapton ist in mein Studio gekommen, und Jeff Beck klang schlicht magisch. Es war seine letzte Aufnahme und sie ist sehr bewegend.
Wie geht es bei Ihnen weiter?
Knopfler: Ich will noch ein paar Alben angehen. Das ist es, was ich die nächsten Jahre machen möchte – statt mich weiter auf diesem Rummelplatz zu bewegen, auf dem ich so lange unterwegs war. Ich denke, das ist das Beste, was ich in meinem Alter machen kann.
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