Festival - Düsterer Blick auf heute und morgen

Mannheimer Sommer: Maschinen und Monster - aber keine Moral

Von 
Markus Mertens
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Mannheim. „Die Welt ist ein wilder, unzivilisierter Ort geworden.“ Mit diesen Worten eröffnet der Performancekünstler Felix Kubin im Studio Werkhaus des Nationaltheaters seine „Maschinenmonologe“, die als Live-Hörspiel für den Mannheimer Sommer so viel mehr sind als nur ein exotisches Randprojekt. Denn was Kubin in den 45 Minuten seiner Aufführung ins Auge fasst, ist die Dystopie einer degenerierten Welt, in der „die Maschine“ keineswegs feindselig die Herrschaft über den Menschen übernimmt, sondern die Gesellschaft selbst so träge und obrigkeitshörig geworden ist, dass das Ordnungsprinzip des Digitalen als Regulativ die Macht übernimmt - und dafür sogar noch gepriesen wird.

In elektrifizierten Songs mit dem Ohrwurm-Potenzial von Kraftwerk-Klassikern tauchen wir ein in einen Kosmos, in dem Nahrung, Inspiration, weltliche Kontakte und sogar die Liebe selbst zu Bedürfnissen verkommen, die auf Knopfdruck ihre Befriedigung erfahren. Die Flucht aus der heimischen Filterblase wird zur Gefahr stilisiert, das „unmittelbare Erleben“ im direkten Kontakt mit anderen avanciert gar zum Verbrechen.

Vieles von dem, was der Künstler Kubin vorträgt, mutet wie eine futuristisch-skeptische Sicht auf die Welt in 50 Jahren an. Wer jedoch den genauen Blick riskiert, findet in der Performance dieses Abends nicht nur die Spurenelemente von Fritz Langs frühen Maschinen-Filmen, sondern stellt fest, dass wesentliche Inhaltsstoffe auf Edward Morgan Forster und seine Novelle „Die Maschine steht still“ zurückgehen - die mit ihren visionären Gedanken wohlgemerkt bereits Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals abgedruckt wurde.

Überlebenskampf ohne Moral

Während sich die Maschine bei Kubin jedoch irgendwann an der mangelnden Evolution ersättigt, die „narkoleptische Pause“ zum Todesurteil der Weltbevölkerung bestimmt und sich anschließend selbst zerlegt, zeigt sich in der Kunsthalle, wie das Monster aussehen könnte, das sich aus dieser dunklen Prophezeiung erhebt. „Anastatica“ hat die israelische Künstlerin Moran Sanderovich ihre Installation genannt, in der sich aus Haut, Haaren, Latex und Knochen ein soldatisches Wesen erhebt, das sich ohne Sprache, Pietät und Moral nur noch triebgesteuert einem Überlebenskampf hinzugeben vermag. Imponierend und gleichsam bedrückend sind diese beiden Installationen ohne Zweifel - und sollten dennoch genau deshalb vor allem die Hoffnung wecken, dass es so weit nicht kommen muss.

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