Mannheim. Er ist Gründungsmitglied des Jerusalem Quartetts, und Kyril Zlotnikov war zwischendurch auch Stimmführer der Celli im West-Eastern Divan Orchestra von Daniel Barenboim. Er ist also ein Teamplayer. Doch als Solist in einem Sinfoniekonzert hat er längst ebenfalls Erfahrungen gesammelt und kennt keinerlei Verlegenheiten. Um das Mindeste zu sagen.
Zlotnikov lächelt in Mannheim, wo er sich im Musensaal des Rosengartens dem Konzert von Edward Elgar widmet - einem der Top-3-Stücke für Cello und Orchester -, selbst in schwierigsten Passagen und sucht immer wieder Blickkontakt zu den Begleiterinnen und Begleitern. Er agiert auf großer Bühne, aber diese ist tatsächlich wie ein Wohnzimmer für ihn. Aus seinem Vortrag spricht ein nahezu perfektes Gleichgewicht aus Spannung und Entspannung.
Auf sein technisch-handwerkliches Rüstzeug kann er sich dabei verlassen, ist sein Ton doch immer schlank und fokussiert. Auch in der hohen Lage - während er sein solo vorgetragenes Rezitativ zu Anfang des Konzerts zunächst mit voll-voluminöser Bassstimme erschallen lässt. Alles hat Atem, Zeit und Raum. Auch winzige Zäsuren, die viel Sinn stiften, setzt Zlotnikov gern ein. Und im Adagio, einer dieser edlen Elgar-Elegien, gönnt sich der Cellist gar ein paar kleine Schluchzer. Freilich sehr geschmackvolle, wie sich in diesem Fall fast schon von selbst versteht. Das ganze Stück ist schließlich auch ein melancholisch abgetönter Abgesang auf die Epoche vor dem Ersten Weltkrieg. Auf die Spätromantik.
Kyrik Zlotnikov spielt „Gesang der Vögel"
Zlotnikov wird für die rundum souveräne Interpretation im Musensaal gefeiert. Für die Zugabe hat er sich den „Gesang der Vögel“ ausgesucht, ein altes Volks- und Weihnachtslied aus Katalonien - das Pablo Casals berühmt gemacht hat, denn der legendäre spanische Cellist spielte es in seinen Exilkonzerten in der Zeit der Franco-Diktatur. Er nannte es „ein Lied des Friedens und der Hoffnung“. Kyril Zlotnikov, aus Minsk gebürtig, aber tief mit Israel verbunden, fasst es ebenfalls politisch auf - und widmet es den Geiseln der Hamas im Gaza-Streifen.
Die ihm im Konzert von Elgar assistierenden Mannheimer Philharmoniker rühmt er für ihren „Enthusiasmus“. Den beweisen sie auch in der vierten Sinfonie von Anton Bruckner, der „Romantischen“. Wobei sich Boian Videnoff, ihr Chef, wohl nicht zu sehr mit den bei diesem Komponisten immer heiklen Fassungs-Fragen abgeplagt hat - Dirigenten wie der Bruckner-Fachmann Eliahu Inbal etwa schwören auf die Urfassung der Vierten. Videnoff ist da pragmatischer.
Die Hörner werden extralaut gefeiert, jedenfalls zum Schluss
Er leitet ein Orchester ohne Bruckner-Tradition. Aber das kann auch eine Chance sein. Manchmal ist eine gewisse positive Unbekümmertheit zu spüren, die in den gelungenen Momenten keinesfalls mit Schludrigkeit verwechselt werden sollte. Insbesondere die Streicher zücken oft die feine Klinge, ziselierte Pizzicato-Strecken in den Violinen, noble und mit sparsamem Vibrato überzuckerte Gesänge in den Celli geben dafür Beispiele.
Monumentale Wucht kommt dennoch nicht zu kurz, wie nicht allein das Hauptthema im Schlusssatz klarstellt: ein Koloss von niederschmetternder Gewalt. Das tiefe Blech der Philharmoniker kann durchaus Staat machen, besonders die Posaunen. Und die Hörner werden extralaut gefeiert, jedenfalls zum Schluss. Am Anfang wackeln sie ein bisschen.
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