Oper

Mannheimer Philharmoniker starten die Saison im Zeichen des Verismo

In einem atemberaubenden Rettungsakt wird die Operngala der Mannheimer Philharmoniker zum Triumph. Kristine Opolais und Freddie de Tommaso begeistern mit ihren brillanten Stimmen und leidenschaftlicher Bühnenpräsenz

Von 
Susanne Klinger
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Die Mannheimer Philharmoniker im Rosengarten unter der Leitung von Boian Videnoff und mit der Sopranistin Kristine Opolais. © Manfred Rinderspacher

Mannheim. In Boian Videnoffs Haut hätte man einen Tag vor Eröffnung der diesjährigen Saison der Mannheimer Philharmoniker wohl nicht stecken mögen: Adäquater Ersatz für den erkrankten Stargast Sonya Yoncheva musste schnellstens gefunden werden, damit die Operngala, die ganz im Zeichen des italienischen Verismo stehen sollte, gerettet werden konnte. „Verismo“ also auch im richtigen Konzertleben: knappe Dramaturgie, große Emotion im Sinne von Bedauern und Enttäuschung, und natürlich Dramatik - aber alles mit gutem Ausgang.

Opolais ersetzt die erkrankte Yoncheva

Mit der lettischen Sopranistin Kristine Opolais springt spontan eine Künstlerin ein, die auf den großen Bühnen der Welt von der Met, über Covent Garden, die Staatsopern in Berlin, München und Wien bis hin zur Mailänder Scala im italienischen Fach derzeit große Erfolge feiert. Und somit auch die klug ausgeklügelte musikalische Abfolge der Sternstunden des Verismo und deren halbszenische Choreografie mitzugestalten vermag. In ihrer Paraderolle, der Madama Butterfly von Giacomo Puccini, versetzt sie das Publikum im vollen Musensaal des Mannheimer Rosengartens mit ihrem volltönend satten Sopran mit der Arie „Un bel dì, vedremo“ gleich in schwelgerische Stimmung.

Doch was wäre eine Operngala ohne Tenor? Der britisch-italienische Freddie de Tommaso, noch nicht einmal 30 Jahre jung, avanciert bereits seit 2018, als er unter anderem den Placido Domingo Tenor Preis gewinnen konnte, zum internationalen Shooting Star und wird seitdem an allen einschlägigen Bühnen enthusiastisch gefeiert.

Zu Recht. Mit fundierter Mittellage und strahlender, müheloser Höhe erobert er das Publikum im Sturm schon mit seiner Auftrittsarie „Pourquoi me réveiller“ aus dem „Werther“ von Jules Massenet. Sein „Vincerò“(„ich werde siegen“) in der berühmten „Nessun dorma“-Arie aus Puccinins „Turandot“ ist da natürlich Programm. So erobert de Tommaso als Rodolfo mit Nonchalance und jugendlicher Unbekümmertheit seine Mimi in der Schlussszene aus dem ersten Akt der „La Bohème“. Zum Erstaunen der Zuhörer führt er sie tatsächlich von der Dachstube - in dem Fall der Bühne - hinunter durch das Publikum ins Café Momus, wobei er an dieser Stelle ganz partiturgemäß aufs hohe C verzichtet. Und kein Zuhörer bezweifelt, dass er es hätte singen können! Glückseligkeit schon in der Pause.

Volle Leidenschaft auf der Bühne

Der zweite Teil der Operngala widmet sich zunächst der „Urmutter“ der veristischen Oper, Mascagnis „Cavalleria Rusticana“. Dem stimmungsvollen Intermezzo folgt ein überraschender Raumklangeffekt: De Tommaso singt Turiddus Arie „O Lola ch’ai di latti la cammisa“, begleitet nur von Harfenklängen, von der hinteren Empore, ehe das Orchester mit der atmosphärischen „Siciliana“ zunehmend dramatisch den Boden für die in der Katastrophe endende Handlung bereitet.

Auch Floria Tosca stürzt in blau glitzernder Traumrobe mit ihren „Mario, Mario, Mario“-Rufen quasi von draußen in die Kirche Sant’Andrea della Valle (in dem Fall auf die Bühne), um ihren Cavaradossi eifersüchtig zur Rede zu stellen. Da wird im Hin und Her der Gefühle auch szenisch große Oper geboten. Dem Publikum gefällt’s, leichte Unschärfen in den hohen Spitzentönen Opolais‘ trüben den Eindruck kaum.

Die jungen Musiker der Mannheimer Philharmoniker laufen unter der einfühlsam-dezenten Leitung Videnoffs im „Intermezzo Sinfonico“ aus Puccinis Oper „Manon Lescaut“ zu Hochform auf. Hier können sich die Stimmführerinnen der Streicher in ihren Solostellen in Szene setzen und die Holzbläser warten mit warmem Ton auf. Zum dramatischen Höhepunkt geraten dann die beiden Szenen, die dramaturgisch effektvoll erst mit Manon Lescauts Arie aus dem vierten Akt „Sola, perduta, abbandonata“ und danach mit dem großen Liebesduett aus dem zweiten Akt der Oper erklingen („Tu, tu, amore? Tu?“). Des Grieux‘ beinah verzweifelter Ausbruch „O Tentatrice!“ („Oh Verführerin“) gipfelt im leidenschaftlichen Bühnenkuss: Manon hat ihn einmal mehr herumgekriegt. Großes Theater!

Verführt werden muss zu diesem Zeitpunkt keiner mehr. Das Publikum schwebt auf Wolke Sieben des Opernhimmels. Standing ovations erzwingen die Zugabe des Trinklieds aus Verdis „La Traviata“. Alle strahlen. Und Videnoff ist die Erleichterung anzusehen.

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