FN-Interview

„Ich bin ein Klassiker in der Moderne“

Komponist Christoph Ehrenfellner möchte gerne ein Bayreuth als sein eigenes Opernhaus bauen

Von 
Felix Röttger
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Christoph Ehrenfellner: © Nancy Horowitz

In der Würzburger Musikhochschule kommt es am 20. April zur Uraufführung ihrer Sinfonie Nr. 2 („La Petite de Vienne“). Die FN unterhielten sich im Vorfeld mit Komponist Christoph Ehrenfeller.

Was sind generell Ihre wichtigsten musikalischen Einflüsse und wie spiegeln sie sich in Ihrer Kompositionsarbeit wider?

Christoph Ehrenfellner: Ich bin ein ‚Klassiker in der Moderne’, sag’ ich gerne augenzwinkernd über mich selbst. Das trägt natürlich den Begriff ‚Klassiker der Moderne’ in sich, bewusst, denn genau da hake ich ein: Schönberg, Strawinski, Prokofiev, Berg, Bartok, Schostakowitsch. Mein entscheidender Zusatz: ich bin neben dem Komponieren ein voll im Saft stehender Dirigent und Geiger, der hauptsächlich das klassisch-romantische Kernrepertoire bedient. Wenn man aber sein Leben mit Beethoven & Co verbringt, prägt einen das. Der Kick ins Komponieren kam bei mir aus dem jahrelangen Studium bei György Kurtág. Da habe ich die innere Verschränkung von Beethoven, Bartok und von da an hinaus ins Nirwana begriffen. Heute lege ich eine Symphonie vor, die sich formal, strukturell, emotional und klanglich dazu reiht an die Genannten. Ein gutes Symphonie-Orchester kann sie genauso performen wie eine Symphonie von Prokofiev. Und die klassischen Musikfreunde bekommen genau soviel Power, Klang, Dynamik und Verdichtung geboten. ‚Moderne Spieltechniken’ haben sich aus meiner Sicht über die letzten 100 Jahre als nicht genügend wesentliche Elemente für echten Inhalt erwiesen, als dass ich sie unbedingt bräuchte für eine Symphonie für romantisches Orchester. Damit stelle ich ganz offensichtlich einen anderen Wegweiser als Ansage in unseren künftigen musikalischen Kulturraum. Meine ästhetische Position ist keinesfalls fantasieloser Traditionalismus, oder gar die Unfähigkeit, Geräusch-Collagen à la Wien Modern 1970 bis 2023 herzustellen. Sie ist eine sehr bewusste Reaktion auf die vergangenen Dekaden europäischer Musikgeschichte, die viel zu sehr auf eine Spaltung der Musikfreunde (und der Musiker) bis in Kleinstgruppen hinein hingearbeitet haben. Meine 2. Symphonie ist ein Bekenntnis zum Handwerk des Erzählens in Tönen, welches emotional und intellektuell fasslich bleibt für Kenner und Musikfreunde, und damit ist sie eine qualitative Herausforderung für meine Kollegen (Musiker und Komponisten gleichermaßen).

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Sehen Sie es als Vorteil an, erst als Geiger und Dirigent musikalische Erfahrungen gesammelt zu haben, bevor Sie als Komponist tätig wurden?

Ehrenfellner: Ja, ganz zweifellos! Ich muss schon sagen, dass allein die Gegenvorstellung geradezu absurd wäre heute. Es ist eine Frage des Respekts den Musiker-Kollegen gegenüber, und letztlich dann auch eine Frage der Relevanz meiner Werke für Musiker-Kollegen und deren Publikum, wie genau ich deren Praxis und Realität kenne. Jörg Widmann als Klarinettisten-Komponist wäre etwa ein gutes Beispiel für meine These. Seine Praxis-Nähe hat ihm die Tore geöffnet. An diesem Punkt sei auch festgehalten, dass gefühlte 90 Prozent der Subventionsgelder und der Musikerjobs im klassischen Mainstream liegen, und das nicht ganz ohne Grund: 90 Prozent des Publikums konsumieren den klassischen Mainstream, also das, was ich oben mit Beethoven&Co gelabelt habe. Wenn ich also für diese Gruppe arbeiten möchte, dann bin ich schon gut beraten, deren Wünsche genau zu kennen und sie zu bedienen. Vielleicht kündigt sich genau auf dieser Ebene auch ein echter Generationen-Wechsel an. Die alte Garde, sagen wir Rihm, Lachenmann und Co, waren damit beschäftigt, zu schockieren, zu rebellieren, zu erziehen uvm. Ich finde, wir haben für all das öffentliche Geld, das unsere Zunft mitträgt, unbedingt auch die Funktion eines Entertainers, zwar eines möglichst niveauvollen, aber doch wenigstens eines Seelen-Erbauers. Dafür kommen die Musikfreunde, dafür bezahlen sie uns.

Eigentlich sollte schon vor zwei Jahren in Würzburg Ihre Oper „Karl und Anna“ aufgeführt werden. Worum geht es in diesem Werk, das jetzt auf dem Spielplan im nächsten Jahr stehen wird?

Leider hat die Pandemie unsere Pläne großräumig durchkreuzt. Ich habe tief mitgelitten mit Markus Trabusch und seinem Team; die Theater und Orchester waren vor einer unlösbaren Aufgabe, sich alle 3 Wochen neu zu organisieren - und über allem noch der große Umbau am Mainfranken Theater! Na ja, jetzt ist Land in Sicht. Die Oper ist auf ein grandioses Schimmelpfennig-Libretto komponiert, der wiederum die einzige Theater-Vorlage dramatisiert hat, die Leonhard Frank hinterlassen hat. Frank, der berühmte Würzburger Pazifist und Literat, hat ein Kriegs-Heimkehrer-Drama erzählt, in dem ein zentraler Satz gesagt wird: Was einer fühlt, ist Wahrheit. Diese These wird auf den Prüfstand gestellt, wenn ein Kriegsheimkehrer die Verlobte seines verschollenen Kameraden aufsucht und behauptet, er wäre derjenige, welcher… Die Verlobte weiß den Betrug genau, aber die Umstände suggerieren ein Weiterfließen mit dem Leben, und, wo die Liebe hinfällt, da wächst sowieso kein Gras mehr. Am Höhepunkt – sie ist schwanger von ihrem neuen Partner - steht der (doch nicht gefallene) Ex-Verlobte in der Küche, als Gezeichneter von all den Jahren im Krieg. Sehr modern gedacht ist das offene, nicht belehrende Ende des Dramas. Die Liebe gewinnt, aber das Unnennbare, die zerstörerische Wucht des Krieges, bleibt mit dem gebrochenen Heimkehrer beharrlich auf der Bühne sitzen. Ehrlich gesagt – keiner von uns hatte 2018, als wir mit der Arbeit am Stück begonnen hatten, geahnt, welche erschütternde Aktualität wir damit im Jahre 2023 haben würden.

Versuchen Sie bei einer Oper, Ihre Vorstellungen hinsichtlich der Inszenierung und der musikalischen Interpretation durch das Orchester zur Geltung zu bringen?

Ehrenfellner: Ja, unbedingt! Ich bin zwar auch studierter Sänger, also meine Hauptrollen klingen auch wie Hauptrollen, aber auch bei der Oper hake ich dort ein, wo diese Gattung ihre effizientesten Blüten gebracht hat. An Wagner kann und will ich nicht vorbei, ohne etwas von seiner orchestralen Kraft und Schönheit zu nehmen, selbst wenn ich diesmal nur ein verkleinertes Orchester zur Verfügung habe. Ich sehe die Szenen vor mir in meinem geistigen Auge, und werfe die Musik hin, die diese Bilder am deutlichsten trägt. Natürlich wäre es mir recht, ein Regisseur könnte meine Gedanken und Bilder aus meiner Musik lesen, alles andere wäre kontraproduktiv. (Passiert leider auch oft genug!) Wenn ein Regisseur eigenwillig oder gar konträr zur Musik auf der Bühne arbeitet, würde die Musik auch sein Konzept mit jedem Ton stören. Die Kräfte, Ton&Bild, gingen gegeneinander, statt dass sie ineinander griffen. Mit einer ausdrucksstarken Musik, die vor allem emotional so deutlich zeichnet, wie ich es gerne tue, wäre aufgesetztes Regietheater ganz unpassend, und ein indolenter Regisseur könnte nur verlieren.

Haben Sie bestimmte Ziele oder Themen, die im Fokus Ihrer zukünftigen musikalischen Arbeit stehen werden?

Ehrenfellner: Ich bin den klassischen Genres Musiktheater, Symphonie, Konzerte, Kammermusik etc. natürlich innigst verbunden, und die Aufträge kommen in der Regel auch aus diesen Domänen. Welche Themen sich ergeben, das bestimmt der jeweilige Auftrag - ich kann es mir nicht leisten, mich da vorab einzuengen und festzulegen. Aber, wenn ich an Ziele denke, sehr weit am Horizont, dann möchte ich gerne mein eigenes Bayreuth bauen, mein eigenes Opernhaus, für das ich die herrlichste Musik wüsste.

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