Mannheim. „Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht… “ Wer vermeintlich heitere Couplets mit dieser Weltsicht beginnen lässt, braucht keine Sorge zu tragen, als weltfremd zu gelten. Er war vielleicht stilistisch zwischendurch aus der Mode, der einst „arme B. B.“, seine Sicht auf den Menschen blieb aber stets tagesaktuell zutreffend:„Wer möcht’ auf Erden nicht ein Paradies? Doch die Verhältnisse, gestatten sie’s?“
Der Mensch und seine Verhältnisse
Für Brecht war die negative Antwort auf diese „Dreigroschenoper“-Frage klares poetisches Bekenntnis. Dass die Verhältnisse nicht „so“ sind - und auch nie so waren -, wird keinen überraschen.
Die Unbarmherzigkeit des Dichters, der am 10. Februar 1898 in Augsburg geboren wurde und am 14. August 1956 an einem Herzinfarkt in Berlin starb, bezieht sich weit weniger auf den Menschen als auf dessen Systeme und Versuche, Trost und Besserung zu erlangen. Religion und Wissenschaft, Politik und Philosophie, für die „Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens“ hatte er in A wie „Arturo Ui“ bis Z wie „Zehr und Patschek“ nur kernigen Spott übrig. Dem Volk aber schaute er aufs Maul, wie vor ihm nur Martin Luther. Auch zu seiner Zeit waren „die Mittel kärglich und die Menschen roh“, weshalb galt: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral.“
Der Dichter und die Frauen
Ihn deshalb auf den ungewaschenen, geld- und weibergeilen Ausbeuter zu reduzieren, ist schändlich. Den Vorwurf, dass er Geliebte in Arbeitssklavinnen wandelte, entkräftete Käthe Reichelt, als Schauspielerin und Schülerin eine von ihnen, mit den Worten „Er hat ja keine von uns gezwungen, wir hätten gehen können.“ Doch sie blieben alle, die Faszination, die von Brecht ausging, war zu groß. Mit 26 Jahren hatte Brecht drei Kinder mit drei Frauen, an der bürgerlichen Moral und der „Kleinbürgerhochzeit“ lag ihm ein Leben lang wenig. Sie profitierten in unterschiedlichen Formen von ihm, er, der Zusammenklauber stets von ihnen: Ihm wurde zugetragen, er nahm es sich als genialer Verarbeiter kollektiver Erfahrungen. Den Plagiatsvorwurf des Großkritikers Alfred Kerr zur „Dreigroschenoper“ erwiderte Brecht gewohnt knapp: „Ich bin lax in Fragen geistigen Eigentums.“ Dass seine Nachkommen (noch bis 2026) weltweit als die akribischsten Wahrer literarischen Erbes gelten, hätte ihn sicher amüsiert.
Mit zwei Kriegsstücken zum Weltruhm
Sein erster Knüller im Berlin der 20er Jahre verknüpfte die Knalligkeit des Expressionismus mit der ironischen Klarheit der Neuen Sachlichkeit. Später sollte die Verfremdung zur Säule seines „epischen Theaters“ werden. Die eklektische Musik Kurt Weills gab den Takt für Doppelmoral und Songs der „Dreigroschenoper“ vor. Brecht feilte an den Zuhältern, Gaunern, Gewinnlern und Polizisten aus Gosse, Bibel und Jahrmarkt.
Die „Dreigroschenoper“ ist kunstgewordene Weimarer Republik. Hitler tauchte auf, und Brecht emigrierte über Prag, Wien, Paris, Dänemark, Finnland und die Sowjetunion nach Hollywood, wo er nicht zuletzt wegen des Kommunistenwahns der McCarthy-Ära nie wirklich Fuß fasste. Seine jugendliche Karriere schien fast beendet, bis Therese Giehse als „Mutter Courage“ in Zürich den Karren 1941 wieder aus dem Dreck zog.
Im Ost-Berlin der Nachkriegszeit zog Helene Weigel den Brecht-Karren über die Bühne und wurde später Prinzipalin des Berliner Ensembles im „Theater am Schiffbauerdamm“. Die Marketenderin hat drei Kinder verloren, will ihren „Schnitt machen“, überleben, irgendwie weitermachen. Das ging damals vielen so, Brecht hatte den zweiten Nachkriegshit gelandet.
Ent- und Verfremdung
Er war jetzt Weltautor, denn die 50er Jahre brachten wenig gute Stücke, aber existenzielle Fragen. Brecht entwickelte das Theater der Verfremdung und der Dialektik für das wissenschaftliche Zeitalter. „Das Leben des Galilei“oder „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ waren bereits im Exil geschrieben, jetzt folgte die theatertheoretische Umsetzung. Für das Einfühlungstheater des herrschenden Theatertheoretikers Stanislawski senkte sich der Vorhang, der jetzt eine „Brecht-Gardine“ war. Das „BE“ wurde zur Wallfahrtsstätte, ein Ost-Bayreuth für Sprechtheater.
Seine Rolle als kulturelles Aushängeschild der DDR, das Verhalten beim Aufstand des 17. Juni 1953 oder die Annahme des Stalin-Friedenspreises finden heute wenig Gnade. Was die „Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens“ betrifft, hat Brecht „eben leider recht, die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht.“
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