Ludwigshafen. Geld schießt keine Tore. So lautet eine Fußballweisheit. Auf das Kino übertragen heißt das: Schauspielstars machen noch keinen guten Film. Das zeigt Dirk Kummers Ludwigshafener Festivalbeitrag „Ungeschminkt“: ein Melodram um die Transfrau Josefa (glänzend gespielt von Adele Neuhauser), die es nach 35 Jahren nach Hause in die oberbayerische Provinz verschlägt. Dort trifft sie ihren ehemals besten Freund Norbert (Ulrich Noethen) wieder - und ihre Ex-Frau Petra. Die verkörpert Eva Mattes mit furioser Eindringlichkeit; wenn Blicke töten könnten, bräuchte sie einen Waffenschein.
Die Geschichte von „Ungeschminkt“ ist behäbig
Das Thema - Frau, die früher ein Mann war, kehrt an ihren Heimatort zurück - mag ein hehres Anliegen sein. Aber seine Gestaltung macht aus dem Film einen drögen Langweiler. Ein Fahrradreifen, dem die Luft entwichen ist, bringt die Handlung in Gang, weil Josefa dadurch Norbert begegnet. Der Dramaturgie geht allerdings auch rasch die Luft aus: Die Geschichte schleppt sich zäh und behäbig dahin, gefühlt sieht man Josefa 30 Minuten lang immer wieder auf dem Drahtesel durch die Landschaft zuckeln.
Auch in „Querschuss“ brillieren die Schauspieler
Für Drive sorgt nur Antonia (Hayal Kaya), ebenfalls Transfrau, die im pinkfarbenen Kostüm, weißen Pumps, opulenter Schminke ihre Freundin besucht und im Dorfladen aushilft. „Eine Biokiste, ein Päckchen Eier und Transwatching, macht 27 Euro, Anfassen kostet extra“, raunzt Josefa einem Hinterwäldler zu, dem beim Anblick Antonias die Augen überquellen. Etwas mehr von diesem Witz, mit dem englische oder französische Regisseure auch Problemfilme anreichern, hätte diesem bleischwer inszenierten Werk sehr gut getan.
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Witz kommt auch in Nicole Weegmanns „Querschuss“ nur in homöopathischen Dosen vor. Hier ist es Ursula Werner als Lebedame, die mit lockeren Sprüchen und Alkohol als Frustschutzmittel eine Trauergesellschaft aufmischt. Denn eigentlich sollte der 80. Geburtstag von Opa Josef gefeiert werden. Aber der begeht überraschend Selbstmord. Das Familiendrama dreht sich also ebenfalls um ein schweres Thema. Und auch hier brillieren, aber durchweg expressiver, die Darsteller: Christian Berkel verkörpert den Sohn Andreas mit einem Gesicht wie gemeißelt, Andrea Sawatzki zeigt seine labile Schwester Ulrike mit großer schauspielerischer Bandbreite, Stella Kann (eine Entdeckung) spielt seine junge Tochter Stella mit starker Emotionalität.
Was „Querschuss“ so gut macht, ist zum einen die spannungsvolle Dauerintensität, mit der das Gefühlsdurcheinander nach dem Todesfall gezeigt wird. Auf den Schock folgt die Verzweiflung, der Schmerz, die Hilflosigkeit, Selbstvorwürfe, das Suchen nach Gründen für die Tat, dann das Hadern mit ihr. Allmählich bricht so das ganze Familiengefüge zusammen. Verletzungen, über die jahrelang geschwiegen wurde, kommen zur Sprache, alte, längst verheilt gewähnte Wunden brechen auf, die Auseinandersetzungen gipfeln im aggressiven Streit ums Erbe.
Subtile Lichtdramaturgie und ikonische Bilder
Zum anderen begeistert auch die außergewöhnliche visuelle Kraft des Films. Er wird befeuert von einer subtilen Lichtdramaturgie zwischen gleißend hellen Außen- und dunklen Innenaufnahmen. Zudem packt die Regisseurin den Seelenzustand der Protagonisten in ikonische Bilder. Das macht „Querschuss“ im wahrsten Sinn des Wortes sehenswert.
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