Das Interview - Sängerin Joy Denalane über Rassismus im Alltag und ihr neues Album

„Es passt in aufgeriebene Zeit“

Von 
Dagmar Leischow
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© Ulrike Rindermann

Ein heißer Sommertag in Berlin. Im Büro von Joy Denalanes Management im Stadtteil Charlottenburg ist es angenehm kühl. Dort empfängt die 47-Jährige zum Interview, um ihr neues Album „Let yourself be loved“ zu promoten. Es ist die erste Platte einer deutschen Künstlerin, die beim legendären Motown-Label in den USA veröffentlicht wird. Die englischsprachigen Songs lehnen sich musikalisch an den Soul der späten 60er und der frühen 70er Jahre an. Einige kommen herrlich nostalgisch daher, andere beschwören pure Romantik herauf.

Frau Denalane, was verbinden Sie mit Motown?

Joy Denalane: Soulmusik, die die ganze Welt verändert hat. Dieser Sound hat mich als Kind geprägt. Marvin Gaye ist einer meiner wirklich großen Helden. Ich liebe Stevie Wonder und The Jackson Five. Man muss dazu wissen, dass ich aus einem Elternhaus komme, in dem viel Musik gespielt wurde – nur Soul, R’n’B, Jazz und Funk. Diese Art von Musik ist sozusagen Teil meiner DNA.

Das hört man Ihrem Album „Let yourself be loved“ an, das inhaltlich hauptsächlich um die Liebe kreist.

Denalane: Es geht um die Liebe in all ihren Facetten. Ich denke, das passt gut in unsere aufgeriebene Zeit, in der wir mit Corona, dem Tod von George Floyd oder Ahmaud Arbery, Amy Coopers falschen Anschuldigungen gegen einen Schwarzen und das Aufkommen von Black Lives Matter konfrontiert sind. Allerdings sind meine Stücke schon entstanden, bevor wir von diesen Ereignissen überrollt wurden.

Sie haben sich in der Vergangenheit durchaus in einigen Liedern politisch positioniert. Wäre es nicht gerade jetzt wichtig, Politsongs zu schreiben?

Denalane: Nicht zwingend. Es gibt kein Interview, in dem ich nicht über Black Lives Matter oder meine persönlichen Rassismuserfahrungen spreche. Darum muss ich nicht jede Nummer inhaltlich spitz kuratieren, damit sie als politisch wahrgenommen wird.

Sehen Sie denn einige Titel Ihrer neuen Platte als politische Statements?

Denalane: Im Grunde kann man fast alle als politische Statements verstehen. Alles, was ich mit Liebe verbinde, ist immer irgendwie eine Form von Politikum. Das fing bei meinen Eltern an: Da haben sich in den 60er Jahren im Nachkriegsdeutschland eine Deutsche und ein Südafrikaner füreinander entschieden und Kinder bekommen. Das empfinde ich genauso als Politikum wie meine Beziehung mit meinem Mann Max Herre und unsere gemeinsamen Söhne.

Was hat sich für Sie als schwarze Frau durch die Black-Lives- Matter-Bewegung verändert?

Denalane: In Deutschland haben wir ein Vokabular entwickelt, mit dem wir Probleme benennen und ein Phänomen wie Intersektionalität (Anmerkung der Redaktion: die Gleichzeitigkeit verschiedener Kategorien von Diskriminierung einer einzelnen Person gegenüber) erklären können. Die Wissenschaft setzt sich mit Rassismus auseinander – sei es mit strukturellem oder mit institutionellem Rassismus. Auch auf der politischen Ebene werden mittlerweile Zugeständnisse gemacht. Als ich vor 20 Jahren anfing, über Rassismus in Deutschland zu diskutieren, hieß es noch, Deutschland wäre kein Einwanderungsland. Heute ist die Gesellschaft im Wandel. Zudem begann man nach George Floyds Tod, sich weltweit mit rassistischen Strukturen in Polizeibehörden zu beschäftigen. Das heißt ja nicht, dass die Polizei per se als Organ oder Behörde rassistisch ist, sondern dass es Strukturen gibt, die das nicht verhindern. Da muss man hinschauen.

Wie profitieren Sie von diesen Fortschritten im Alltag? Rückt in der U-Bahn keiner mehr von Ihnen weg?

Denalane: Individuelle Rassismuserfahrungen lassen sich natürlich nicht verallgemeinern. Was ich erlebt habe, muss nicht zwingend einem anderen Schwarzen genauso widerfahren. Fakt ist aber: 2015 war ein extremes Jahr. Damals kamen viele Geflüchtete nach Deutschland, dadurch zog sich Unsicherheit durch die gesamte Gesellschaft. In dieser Phase wurde ich in Berlin in der U-Bahn mit echt krassen Situationen konfrontiert. Inzwischen hat sich die Lage zumindest in dieser Stadt etwas entspannt.

Sind Sie trotz dieser negativen Momente froh, dass Sie in Berlin groß geworden sind und nicht in einem kleinen Dorf?

Denalane: Obwohl Berlin als tolerant und pluralistisch gilt, ist diese Metropole nicht frei von Rassisten. Ich bin in Kreuzberg aufgewachsen, selbst dort wurde ich aufgrund meines Äußeren diskriminiert. Zum Glück hatte ich meine Familie um mich herum. Mit Leuten aus der Community konnte ich mich ebenfalls zusammentun. Das ist mit Sicherheit etwas anderes, als auf dem Dorf die Einzige zu sein, die nicht so aussieht wie die Mehrheit.

Fünftes Studioalbum

  • Joy Denalane wurde am 11. Juni 1973 in Berlin geboren. 1999 nahm sie mit der Band Freundeskreis den Hit „Mit dir“ auf, sie und Max Herre, der Frontmann dieser HipHop-Formation, wurden ein Paar.
  • 2002 veröffentlichte sie ihre erste Platte „Mamami“, die auf deutschsprachigen Soul setzte. Sie bekam mit ihrem Mann Max Herre zwei Kinder, 2007 trennte sich das Paar, seit 2011 sind die beiden Musiker wieder liiert.
  • Sie leben in Berlin. Nun veröffentlicht die 47-Jährige ihr fünftes Studioalbum „Let yourself be loved“ (erhältlich ab 4. September, Universal Music/Motown).

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