Metropolregion. Wer sich Jahr für Jahr die neuen Platten der Künstlerinnen und Künstler aus Mannheim und der Region anhört, hat wenig Zweifel: So falsch hängt das Unesco-Etikett City of Music hier nicht. Das belegen auch die Neuerscheinungen der Popularmusik zwischen Rap, Jazz, Pop und Metal des Jahres 2024. Unsere Auswahl der Top10 der besten regionalen Alben des Jahres ist zwangsläufig subjektiv, vor allem die Rangfolge. Schließlich vergleichen wir nicht nur Äpfel mit Birnen, sondern teilweise filigran-experimentelles Saatgut mit der Abrissbirne. Am Besten man liest es als anregende Diskussionsgrundlage.
1. OG Keemo: „Fieber“ (Mixtape)
Der in der Region rund um Mannheim heimische gewordene Rapper OG Keemo und sein Heddesheimer Produzent Funkvater Frank haben mit „Fieber“ 2024 erstmals Platz eins der Albumcharts erklommen. Dabei ist dieser Longplayer nur ein Mixtape, eine kreative Fingerübung mit zahlreichen Gästen. Trotzdem demonstriert es alle Qualitäten, die dieses fulminante Duo an die Spitze des Deutsch-Rap geführt haben: hypnotisch düstere Sounds tief aus dem Herzen der schwarzen Musik herausoperiert, ein kompromissloser, unverkennbarer Rap-Stil und für das Genre ungewöhnliche inhaltliche Tiefe. Das Werk steht hier also keineswegs nur deshalb auf Platz eins, weil es nominell die erfolgreichste Platte des Jahres aus der Region ist.
2. „Thomas Siffling’s Jazz Live At The Ella & Louis“
Der Konzertmitschnitt des Mannheimer Trompeters ist eine glänzende Visitenkarte der hiesigen Jazzszene. Thomas Siffling hat dafür eine brillante Allstar-Band aus der Region um sich versammelt. Er bietet mit Olaf Schönborn (Alt-, Baritonsaxofon, Bassklarinette), Konrad Hinsken (Piano), Heiko Duffner (Gitarre), Rosanna Zacharias (Bass) und Erwin Ditzner (Schlagzeug) Gute-Laune-Jazz in bester, authentischer Hardbop-Tradition. Es groovt und swingt, Soul- und Blues-Einflüsse, Rock- und Latin-Rhythmen verbinden sich zu einer feurigen Mixtur. Mitreißend vermittelt es Spielfreude der Musiker und Begeisterung des Publikums.
3. Henny Herz: „We All Heal At Night“
Dieses Album zu hören, ist wie einen Schmetterling zu beobachten: Henny Herz spielt auf ihrem dritten Album „We All Heal At Night“ hauchzart flatternden, mit filigranen Jazzmustern geäderten Akustik-Folk. Man blickt, um im Bild zu bleiben, mit der Wahl-Mannheimer Singer-Songwriterin durch ein Tagpfauenauge hindurch auf eine mikroskopische Welt. Wie in Nahaufnahme, wie unter ein Vergrößerungsglas gehalten, entfalten die feinsten Klangbewegungen der Popakademikerin weitreichende Wirkung und Bedeutung. Gitarre und Stimme, dort ein Vogellaut, ein Hauch von Flöte, eine Klarinetten-Böe: ein kleines Meisterwerk.
4. Die Mausis: „In einem blauen Mond“
Der erste Eindruck täuscht: Die Mausis haben mit ihrem Longplayer-Debüt „In einem blauen Mond“ keineswegs ein Album für Kinder vorgelegt. Der Herxheimer Indie-Popstar Drangsal und Singer-Songwriterin Stella Sommer können zwar naiv-kindlich klingen (und sich kindgerecht Die Mausis nennen), die Inhalte sind aber tiefgründig, auch wenn die Melodien einen mitunter anspringen wie Motivationshymnen. Außerdem gibt’s noch Anlagetipps für diese Krisenzeiten: „Ich leg mein Geld in Käse an“ mit Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow.
5. Laith Al-Deen: „Dein Begleiter“
Was für ein extrem guter Sänger Laith Al-Deen ist, muss man in Mannheim und Umgebung niemandem erklären. Der Wahl-Brühler und Neu-Schweizer unterstreicht das auf seinem elften Album „Dein Begleiter“ nachdrücklich. Vor allem deshalb, weil es seine persönlichsten und eindringlichsten Texte enthält – quasi direkt geschrieben an der lebensverändernden Kreuzung, seiner Entscheidung für eine Frau mit mehreren Kindern und dem Abschied vom Popstar-Leben.
6. Engin: „Mesafeler“
Gerade aus Mannheimer Perspektive ist die EP „Mesafeler“ interessant: Popakademiker Engin Devekiran, dessen hochkarätiges Indie-Rock-Trio seinen Vornamen trägt, setzt mit sieben Coverversionen Klassikern des Anadolu Rock ein Denkmal – also quasi den Hits, zu denen unsere türkischen Nachbarinnen und Nachbarn jahrzehntelang getanzt und geweint haben. Die Studioversionen sind nicht ganz so hart und mitreißend wie Engins Live-Sound, aber eine bereichernde Herausforderung für die Hörgewohnheiten.
7. Philip Weyand: „Kosmee“
Wie kreativ junger Jazz aus Mannheim klingen kann, zeigt die CD des Pianisten Philip Wyand eindrucksvoll. Die Musik wirkt wie aus einer anderen Welt: geheimnisvoll, betörend traumverhangen. Weyand ist schon jetzt, mit 27, ein Meister atmosphärischer Kompositionen. Und er hat exzellente Mitspieler gefunden, die seine Klangvorstellungen kongenial umsetzen. Vokalistin Aitzi Cofre Real verfügt über eine verführerische Sirenen-Stimme, Kristina Shamgunovas reizvoll kühles Altsaxofon-Spiel steckt voller Überraschungen, Nico Klöffer (Bass) und Micha Jesske (Schlagzeug) komplettieren mit subtilen Farb-Nuancen Wyands Sound-Visionen.
8. Bülent Ceylan: „Ich liebe Menschen“
Wenn ein A-Promi mit siebenstelliger Gefolgschaft in den Sozialen Medien sein Debütalbum veröffentlicht, ist Platz 20 in den Charts heutzutage eher mit einem „nur“ zu versehen. Aber für das Kernpublikum des Mannheimer Comedy-Stars Bülent Ceylan offenbar zu ernstgemeint. Denn der glühende Metal-Fan hat hier ein Herzensprojekt mit Herzblut, Energie und Top-Profis wie Selig-Gitarrist Christian Neander verwirklicht. Die Metalgemeinde feierte die gut gemachten, eingängigen Songs mit erstaunlich vielseitigen Texten zwischen Tanzflächenvorlage und politischer Haltung zwar in Wacken – als Platte war es dann vielleicht zu viel Quereinsteigertum. Sehr hörenswert ist dieses Debüt trotzdem, weil Ceylan einfach gute Songs mit Intensität abliefert.
9. Jon Doe: „Big Heart, Big Smile“
Dieses Trio weiß, wie man bei der ersten Begegnung Eindruck schindet: Die Heidelberg-Karlsruher Alternative-Rock-Band Jon Doe hat ihr Debüt- gleich als eindrucksvolles Doppelalbum abgeliefert. 17 Songs und über eine Stunde Spielzeit umfasst „Big Heart, Big Smile“, ein Langspieler, der die vergangenen Jahrzehnte Indie-Rock und -Pop und ihre Protagonisten anklingen lässt, ohne dabei eklektizistisch zu wirken. Das große, im Titel angeführt Herz schlägt für Nirvana ebenso wie für The Strokes, Red Hot Chili Peppers oder Radiohead. Eine Tollkühnheit, die mit Verstand und Feingefühl ausgeführt wird – und einen Heiden-Hörspaß bereitet.
10. Paula Carolina: „Extra“
Noch eine Wahl-Mannheimerin, die es wegen ihrer an der Popakademie studierenden Bandmusiker in die Quadratestadt gezogen hat: Paula Carolina ist sehr schnell zu einer Vorzeigefrau der Neuen Deutschen Welle aufgestiegen: Ihre satt sechsstellige Gefolgschaft auf Spotify mochte das Debütalbum „Extra“ zwar nicht ganz so gern wie die hitbeladene EP „Heiß/Kalt“ aus dem Vorjahr. Dafür erweitert die Sängerin ihr Stil- und Themenspektrum derart, dass das Etikett „Neue Nena“ zu kurz greift.
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