Mannheim. Diesmal währt das „Vorprogramm“ ein bisschen länger. Abschlussreden sind zu halten, und sie fallen ziemlich überschwänglich aus. Der Sponsor Manfred Lautenschläger spricht gar von der besten Festivalausgabe aller Zeiten, er regt zudem an, dass man für Starauftritte unbedingt auch den extragroßen Saal des neu eröffneten Kongresszentrums in Heidelberg bespielen solle. Schon zum diesjährigen Festivalfinale drängen sich in Mannheim rund 1000 Besucherinnen und Besucher. Schauplatz ist die Christuskirche. Somit scheinen Gegenwart und Zukunft rosig auszusehen, jedenfalls für Enjoy Jazz. Für den Planeten insgesamt aber wohl weniger: Die demokratische Kultur steht auf der Kippe. Enjoy Jazz-Chef Rainer Kern findet, man dürfe jetzt „nicht länger sitzenbleiben“, sondern müsse kämpfen. Für die Freiheit.
Auch Avishai Cohen, mit seinem Quartett für dieses Finale engagiert, gibt sich des Öfteren politisch, geht bei Plattenaufnahmen mit ungewöhnlicher Direktheit auf das aktuelle Zeitgeschehen ein. „Ashes To Gold“, das jüngste Werk, tut dies besonders: Die Musik entstand kurz nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, in jenen Tagen flogen die Raketen förmlich über Cohens Kopf hinweg (er lebt in Tel Aviv). Von schwierigen, fast hoffnungslosen Zeiten redet der Trompeter, Cohen lässt dabei den Gazastreifen und den Libanon nicht unerwähnt, er sagt ausdrücklich: „Krieg kann nicht die Antwort sein.“ Seine Musik sei „ein Gebet für Frieden“.
Jazz-Musik, die auch ein Gebet für den Frieden ist
Empathie bewies er schon vor Jahren mit der Platte „Cross My Palm With Silver“. Sie enthält den Titel „Will I Die, Miss? Will I Die?“, der sich damals dem Syrien-Krieg mit seinen mörderischen Giftgasangriffen entgegenstellte. Dieses Stück eröffnet das Konzert in Mannheim, und es ist hier nicht zuletzt der formidable Schlagzeuger Ziv Ravitz, der stets neue Ansatzpunkte ins dynamische Geschehen einbringt. Ravitz ist ein relativer Neuling im Quartett, er ist „erst“ 15 Jahre lang dabei. Der Pianist Yonathan Avishai, häufig mit wunderbarem – weil glasklarem – Understatement aufwartend, spiele schon weitaus länger mit, sagt Cohen. Und auch den Bassisten Barak Mori kenne er seit 30 Jahren.
Mori ist ein Musiker, der nicht allein die Fundamente legt, den Rhythmus festigt, sondern auch etwas erzählen kann. Die umfangreiche Suite „Ashes To Gold“ räumt ihm ein Solo ein, das in der Christuskirche wie ein großes Fragezeichen wirkt. Die Suite als Ganzes wogt gewaltig, pendelt zwischen Wutrede und großem Klagelied. Der lange Atem der Crescendo- und Beschleunigungspassagen imponiert, doch immer wieder, und zum Ende hin verstärkt, kommt die Musik zur Ruhe. Findet Frieden. Und schöpft neue Hoffnung. Sogar „Heilung“ – um das diesjährige Enjoy Jazz-Motto noch einmal zu erwähnen – ist in Reichweite: „Ashes To Gold“ bezeichnet ein japanisches Verfahren, das mit Goldstaub selbst kaputteste Keramiktrümmer kitten kann.
Und über allem thront Avishai Cohens leuchtende Trompete. In der Christuskirche ist die Klangaura durch den verstärkten Nachhall ohnehin noch ausgeprägter, aber da und dort setzt Cohen überdies auf künstlich generierte Echos. Für den Abschluss des umjubelten Konzerts sorgt eine Adaption des Mittelsatzes aus Ravels Klavierkonzert, sie ist ein alter Favorit bei Cohens Live-Auftritten. Darauf folgt ein weiches, zugängliches Stück, das der Trompeter seiner 17 Jahre alten Tochter abgelauscht hat. Und zur zweiten Zugabe erscheint er solo – und spielt Bach.
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