Nachdem der Wettbewerb bei den Filmfestspielen in Cannes mit feinen, eher kleinen Filmen wie „Diamant brut“ von Agathe Riedinger oder der in Schwarzweiß gehaltenen dänisch-polnisch-schwedischen Koproduktion „Pigen med nålen“ über die wahre Geschichte einer Babymörderin gestartet war, standen jetzt die ersten Schwergewichte an. Und zwar sowohl was die Größe der Produktionen als auch die an sie gerichteten Erwartungen angeht.
Wie schon vor neun Jahren „Mad Max: Fury Road“ ging auch dessen Vorgeschichte „Furiosa: A Mad Max Saga“ außer Konkurrenz an den Start. George Miller kehrt in die von ihm in den 1970er Jahren geschaffene, postapokalyptische Wüstenwelt zurück und erzählt, wie seine Titelheldin als Mädchen in die Hände der Motorradgang des Warlords Dementus (Chris Hemsworth) gerät und auch noch als junge Frau (Anya Taylor-Joy) auf Rache sinnt.
Auch dieses Mal besteht die Handlung vor allem aus größtenteils spektakulären Actionszenen, allerdings sieht sich Miller mehr als sonst genötigt, das Geschehen zu erklären. Über zweieinhalb Stunden wirkt „Furiosa“, der am 23. Mai regulär in die Kinos kommt, mitunter ein wenig repetitiv, und zumindest am Anfang haftet den Bildern eine für Miller ungewohnte Künstlichkeit an. Mit dem atemberaubenden Vorgänger kann der Film nicht ganz mithalten – und sorgte in Cannes trotzdem für einen Energieschub, wie er sich nur mit atemlos-aufwendigem und innovativem Unterhaltungskino erzeugen lässt.
Mit noch mehr Spannung wurde „Megalopolis“ erwartet, der neue Film der inzwischen 85-jährigen Regielegende Francis Ford Coppola. Bereits in der 1970er Jahren hatte er die Idee, für eine Geschichte das antike Rom mit dem modernen New York zu verschmelzen. 1983 begann die Arbeit an dem Traumprojekt, in das der Oscar-Gewinner insgesamt rund 120 Millionen Dollar aus seinem Privatvermögen investiert hat.
Das Ergebnis ist, man kann es kaum anders sagen, eine Katastrophe. Die Fabel über zwei rivalisierende Familienclans – auf der einen Seite der korrupte Bürgermeister Cicero (Giancarlo Esposito), auf der anderen der idealistische Erfinder und Architekt Catilina (Adam Driver) – will von Moral und Zivilisation erzählen, doch die großen Ideen bleiben Phrasen und Behauptung. Schauspielerisch bekleckert sich niemand mit Ruhm, die visuelle Umsetzung sieht gestrig aus, und die Dialoge sind so schwer erträglich wie die eindimensionalen Frauenfiguren. Die Ambitionen hinter „Megalopolis“ sind enorm, der Film aber enttäuscht.
Umso gelungener ist dafür „Bird“, der neue Film von Andrea Arnold. Die Britin ist bekannt für ihren klaren, auch harten Blick auf bittere soziale Realitäten, nicht selten mit jungen Protagonistinnen im Zentrum. Hier stellt sie der zwölfjährigen, in prekären Verhältnissen aufwachsenden Bailey (Nykiya Adams) einen unerwarteten Begleiter in Gestalt des von Franz Rogowski irgendwo zwischen naiv und verloren gespielten Titelhelden zur Seite. Die Folge ist ein magischer Realismus, wie man ihn von Arnold so nicht kennt, der hier aber bestens funktioniert.
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