Missbrauch

Mahnmal an der ehemaligen Odenwaldschule errichtet

Im Gedenken an über 900 Opfer sexueller Gewalt

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bib/red/ü
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Das Denkmal entstand nach einem Entwurf des und Adrian r. © Tim Wegner

Ober-Hambach. Drei riesige Türen aus Stahl, daran mehrere Türklinken. Aneinander gelehnt entsteht ein geschlossener Raum. Doch die Klinken sind so weit oben, dass man sie nicht erreichen, die Tür nicht öffnen kann – erst recht nicht als Kind. Ein neues Mahnmal für die Opfer der Odenwaldschule wurde in diesem Jahr eingeweiht. Es soll erinnern und warnen.

Das neue Mahnmal steht direkt am Eingang des ehemaligen Schulgeländes, dem heutigen Wohnpark Ober-Hambach. Über Jahrzehnte wurden weit über 900 Kinder und Jugendliche in der Einrichtung Opfer sexueller Gewalt. Seit 1910 wurde an der Schule unterrichtet und gelebt. Sie galt als Elite-Schule, als Vorzeigeinternat der Reformpädagogik.

Das Mahnmal solle keinesfalls das bereits Bestehende ersetzen, das von den Betroffenen selbst finanziert wurde, wurde bei der Einweihung mehrfach betont. Die Metallskulptur „Keimen und Wachsen“ des ehemaligen Schülers Daniel Brenner wurde bereits 2010 aufgestellt. Der 18. November als Tag der feierlichen Einweihung wurde bewusst gewählt. Es ist der „Europäische Tag zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch“. Landtagsabgeordneter Markus Bocklet (Grüne) und der ehemalige Bergsträßer Landrat Matthias Wilkes (CDU) waren an der Errichtung des Denkmals erheblich beteiligt. Zudem musste Adrian Koerfer, Künstler und selbst Opfer, seit 2015 um die Errichtung kämpfen. Man habe sich gefragt, was kann der Staat tun, um Verantwortung zu übernehmen, so Bocklet in seiner Rede. „Das ist nun passiert.“ Finanziert wurde das Mahnmal vom Land, dem Kreis Bergstraße und der Stadt Heppenheim. „Das Mahnmal symbolisiert die Allmacht der Täter und die Ausgeliefertheit der Opfer“, erklärte Kerstin Claus, unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Missbrauchs. Claus betonte auch, dass aufgrund von Verjährung keiner der Täter strafrechtlich belangt wurde. Das Thema ist aber nach wie vor groß: Neun bis zehn Millionen Menschen in Deutschland haben in ihrer Kindheit sexuelle Gewalt erlebt oder erleben diese noch. Weder die erste Skulptur noch das neue Mahnmal will Claus als Schlusspunkt verstanden wissen. „Die Aufarbeitung ist heute nicht an einem Ende angelangt. Die Betroffenen haben ein Recht auf Aufarbeitung.“ Heike Hoffmann, hessische Sozialministerin, betonte, dass es sich nicht nur um individuelle Schuld handelte, sondern die Situation auch ein Ausdruck staatlichen Versagens sei. „Wir können niemandem das Leid nehmen“, bedauerte sie. Doch mit dem Mahnmal wolle sich die hessische Landesregierung ihrer Verantwortung stellen.

Als Vertreter des Kreises Bergstraße war Kreisbeigeordneter Philipp-Otto Vock gekommen. Vock war selbst Lehrer und Schulleiter der Werner-von-Siemens-Schule in Lorsch. Das Geschehene sei „unvorstellbar“. Das Mahnmal diene dem Gedenken, dem Erinnern und Trauern. Man habe eine Verantwortung für die künftige Generation. Abschließend bedankte sich Koerfer und zitierte die Tafel: „Kindesmissbrauch ist Seelenmord.“ Er bat die Bewohner des Wohnparks, das Gedenken an die Opfer hochzuhalten. Vor der Enthüllung legten alle Gäste eine Schweigeminute ein. Unter einer bedrückenden Atmosphäre, Umarmungen und Tränen wurde das Mahnmal enthüllt. bib/red/ü

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