Kiew/Moskau. Nach 1000 Tagen des russischen Angriffskriegs hat die Ukraine erstmals mit weittragenden US-Waffen auf das Gebiet Russlands geschossen. Das Verteidigungsministerium in Moskau teilte mit, auf das Grenzgebiet Brjansk seien sechs ATACMS-Raketen aus US-Produktion abgefeuert worden. Der Generalstab in Kiew bestätigte einen nächtlichen Angriff auf ein russisches Munitionsdepot bei der Stadt Karatschew.
Für die Menschen in der Ukraine bedeutete die traurige Wegmarke von 1000 Tagen weiteres Kriegsleid. In der Kleinstadt Hluchiw im Nordosten des Landes traf eine russische Kampfdrohne ein mehrstöckiges Wohnhaus und tötete mindestens zwölf Menschen. Unter den Trümmern wurden nach Behördenangaben weitere Opfer vermutet.
Der russische Staatschef Wladimir Putin setzte 1000 Tage nach seinem Angriffsbefehl eine neue Nukleardoktrin in Kraft. In dem tiefen Konflikt mit dem Westen listete er mehrere neue Bedrohungsszenarien auf, in denen Russland zu Atomwaffen greifen könnte. Sie sollen westliche Länder von einer Unterstützung der Ukraine abhalten.
Die USA haben der Ukraine nach Medienberichten erst kürzlich gestattet, die ATACMS-Raketen mit bis zu 300 Kilometern Reichweite auch gegen Ziele in Russland einzusetzen. Dies gilt als Antwort auf den vermuteten Einsatz nordkoreanischer Soldaten aufseiten Moskaus. Von sechs Raketen habe die russische Flugabwehr fünf abgefangen, teilte das Moskauer Verteidigungsministerium mit. Trümmer der beschädigten sechsten Rakete seien auf ein Militärgelände im Gebiet Brjansk gefallen. „Es gibt keine Opfer oder Zerstörungen“, hieß es. Dagegen teilte der Generalstab in Kiew mit, in dem Depot seien zwölf Folgeexplosionen beobachtet worden. Gemeint ist die Detonation von dort gelagerter Munition nach einem Einschlag.
Mit der Freigabe der ATACMS durch die USA flammte die Diskussion wieder auf, ob Deutschland nicht den Marschflugkörper Taurus mit bis zu 500 Kilometer Reichweite liefern sollte. Bundeskanzler Olaf Scholz lehnt dies aber ab, und Verteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD) stellte sich in dieser Frage hinter den Kanzler. „An der Position der Bundesregierung insgesamt hat sich nichts geändert“, sagte er in Brüssel. Es sei legitim, dass die USA ihre Linie zur Nutzung weitreichender Waffen geändert hätten. „Wir reden bei Taurus über ein System, was sich immer noch deutlich unterscheidet von allen anderen, die in der Ukraine zum Einsatz kommen.“
Neue russische Atomdoktrin gegen Ukraine und Nato
Neu an der russischen Atomdoktrin ist, dass Moskau die Aggression eines nichtnuklearen Staates, der aber von Atommächten unterstützt wird, als deren gemeinsamen Angriff auf Russland wertet. Dies richtet sich dagegen, dass die Ukraine von den Atommächten USA, Großbritannien und Frankreich militärisch unterstützt wird. Die atomare Abschreckung gilt demnach auch für den Fall, dass sich potenziell feindliche Militärbündnisse bilden, erweitern oder mit ihrer Infrastruktur an Russland heranrücken. Dies richtet sich gegen das Bestreben der Ukraine, in die Nato aufgenommen zu werden.
Die neue Doktrin löst die Fassung von 2020 ab und wurde auf der Webseite des Kremls veröffentlicht. Putin hat in den zweieinhalb Jahren Krieg mehrmals Drohungen zum Einsatz von Atomwaffen ausgestoßen.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zeigte sich unbeeindruckt von der geänderten Atomwaffendoktrin. Putin spiele mit der Angst, dies sei seit Beginn des Ukrainekriegs immer wieder deutlich geworden, so die Grünen-Politikerin in Warschau. „Wir lassen uns nicht einschüchtern, egal, was immer wieder Neues herumposaunt wird.“ dpa
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