Bergstraße. Die Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD hat sich wie berichtet am Donnerstag auf Reformen beim Bürgergeld geeinigt. Relativ schnell gab es auch aus der Region Stellungnahmen zu den beschlossenen Planungen.
Landrat Christian Engelhardt (CDU) begrüßt „den Reformwillen“ und die jetzigen Ankündigungen der Bundesregierung: „Ich finde es richtig, wenn – wie jetzt geplant – der Grundsatz ,fördern und fordern‘ wieder mehr im Zentrum des Handels steht“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme. Das Bürgergeld werde heute oft nicht als Übergangsleistung in Anspruch genommen, „wie es eigentlich sein sollte“, sondern dauerhaft. „Missbrauch ist leicht möglich“, sagt der Landrat. Daher ist es seiner Auffassung nach nötig, dass mehr kontrolliert und sanktioniert werden kann.
Dies lege auch eine aktuelle Studie unter Jobcenter-Mitarbeitenden nahe. Demnach fordern laut Landrat fast drei Viertel der Fachleute seit langem mehr und vor allem einfachere Möglichkeiten, mangelndes Mitwirken von Seiten der Bürgergeld-Empfänger direkt zu sanktionieren.
„Gerechtigkeitsempfinden wird sich verbessern“
Auch die Umbenennung des Bürgergeldes in „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ setzt nach Einschätzung von Christian Engelhardt ein richtiges äußeres Zeichen: „Es handelt sich hier um Leistungen, mit denen Menschen, die aktuell keine Arbeit haben, aber einer Beschäftigung nachgehen könnten, mit Hilfe unseres sozialen Netzes aufgefangen werden. Wenn durch die jetzt geplanten Änderungen mehr Anreize geschaffen werden, dass diese Menschen tatsächlich in Arbeit kommen, beziehungsweise ihre Arbeitshemmnisse abzubauen, dann ist das mehr als sinnvoll.“ Der Landrat geht in seiner Stellungnahme davon aus, „dass die Reformen auch dazu führen werden, dass sich das Gerechtigkeitsempfinden verbessert und der soziale Zusammenhalt ein Stück weit gestärkt wird.“
Weitaus kritischer bewertet Dennis Kramer, Leiter Regionale Diakonie Bergstraße, die aktuellen Beschlüsse der Koalition. „Die Verschärfungen der Bürgergeld-Regelungen bereiten uns als Praktiker der sozialen Arbeit große Sorge. Statt Menschen in komplexen Lebenslagen zu unterstützen, werden erneut Sanktionen verschärft und der Druck auf die Schwächsten erhöht. Diese Politik übersieht die Realität vor Ort und versäumt es, nachhaltige Lösungen zu entwickeln“, schreibt er in einer Stellungnahme der Diakonie.
In der täglichen Beratungsarbeit erleben die Mitarbeiter der Diakonie demnach, dass verpasste Termine meist nicht Ausdruck mangelnder Motivation sind, sondern komplexe Ursachen haben: Krankheit, Kinderbetreuung, psychische Belastungen oder einfach die Überforderung durch bürokratische Abläufe. Die geplante Erhöhung der Sanktionen auf 30 Prozent bereits beim ersten Versäumnis treffe Menschen, die am Existenzminimum leben und dringend Unterstützung statt Bestrafung benötigen.
„Garantierte Existenzminimum gefährdet“
Kramer verweist auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2019, nach dem 100-prozentige Sanktionen unverhältnismäßig sind. „Die neuen Regelungen bewegen sich gefährlich nah an diese Grenzen. Vollständige Leistungskürzungen bei dreimaligem Terminversäumnis, sogar bei den Mietkosten, gefährden das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum“, argumentiert Kramer.
Echte Alternativen zur Sanktionspolitik existierten und seien erprobt. Erfolgreiche Armutsbekämpfung setze auf „quartiersbezogene Ansätze, die Menschen in ihrem Lebensumfeld abholen. Sie investiert in individuelle Qualifizierung statt in Schnellvermittlungen, die zum „Drehtüreffekt“ zwischen Kurzzeitbeschäftigung und erneuter Arbeitslosigkeit führen. Armutssensible Ansätze, wie sie beispielsweise in Kindertageseinrichtungen entwickelt wurden, zeigen: Nachhaltige Hilfe entsteht durch Stärkung individueller Ressourcen, nicht durch Druck.“
Kramer verweist darauf, dass die Diakonie und andere Wohlfahrtsverbände „bereits heute erfolgreiche Modelle“ bieten. Von der Beratung über Qualifizierungsmaßnahmen bis zur aufsuchenden Sozialarbeit entstehen Perspektiven durch Beziehungsarbeit und individuelle Förderung. „Diese Ansätze kosten Geld, aber sie wirken nachhaltig und stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt“, heißt es in der Pressemitteilung. .
„Die neuen Bürgergeld-Regelungen gefährden den sozialen Frieden. Wir brauchen eine Politik, die Menschen stärkt statt schwächt - durch Investitionen in Bildung, Gesundheit und soziale Teilhabe. Die Mittel dafür sind vorhanden, es fehlt der politische Wille zur nachhaltigen Lösung“, so Dennis Kramer. kel/red
Das ist geplant
Die künftige „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ soll einige Erleichterungen für Empfänger, die mit dem Bürgergeld eingeführt wurden, wieder zurückdrehen.
So soll es in Zukunft wieder weitreichendere Möglichkeiten für Sanktionen geben.
Anders als unter den Regeln der Ampel-Koalition soll es in Zukunft auch keine Karenzzeit mehr für die Anrechnung von Vermögen geben.
Bisher ist es außerdem so, dass im ersten Jahr, in dem jemand Bürgergeld empfängt, nicht überprüft wird, ob die Miete die vor Ort als angemessen gesehene Höhe übersteigt. Auch diese Karenzzeit wollen Union und SPD abschaffen.
Und auch der sogenannte Vermittlungsvorrang ist zurück: Dahinter verbirgt sich die Maßgabe, dass die Vermittlung einer beliebigen verfügbaren Stelle Priorität haben soll, auch etwa gegenüber Weiter- und Fortbildung. dpa/red
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