Wladimir Putin Ist Russlands Staatschef wirklich der „böse Bube“?

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„Putins Erfolg“, BA vom Mittwoch, 11. Dezember

Einige Aussagen des Artikels regen zu genauerer Betrachtung an.

Steckt hinter dem Krieg in der Ukraine nicht mehr, als dass Putin es verhindern wollte, „dass aus der Ukraine ein demokratischer Modellstaat werden kann?“ Hat Putin sich „deshalb die Krim einverleibt?“ Ist Russland tatsächlich der Verursacher aller Probleme der Ukraine/und ist Putin wirklich der „böse Bube“, wie er in dem Artikel bezeichnet wird?

Die Ukraine steht seit langem auf der Wunschliste der USA in ihrem Streben nach der Vormachtstellung in der Welt. Bei Zw. Brzezinski, einem der führenden Globalstrategen der USA heißt es: „Die Ukraine ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt ... Ein erweitertes Europa und eine vergrößerte Nato!!! dienen den kurz-und langfristigen Interessen der US-Politik.“ Und wie sich die Nato seit 1999 vergrößert hat!! Sie erstreckt sich vom Schwarzen Meer bis zum Finnischen Meerbusen. Hätte sich der (ehemalige) Warschauer Pakt entsprechend flächenmäßig nach Westen ausgedehnt, stünden heute russische Truppen in Frankreich, Italien und Benelux, von Westdeutschland gar nicht zu reden! Doch der Westen arbeitet sich nach Kräften daran ab, Putin das Image des „bösen Buben“ anzuhängen.

Vergessenes Versprechen

Vergessen ist das Versprechen, welches James Baker, der US-Außenminister, 1991 vor den 2+4 Verhandlungen Gorbatschow gegeben hat --- dass die Nato sich keinen Zentimeter nach Osten ausdehnen werde. „Die Zeit der feindlichen Blöcke ist endgültig vorbei.“ Heute kreisen die AWACS-Aufklärungsflugzeuge der Nato über dem Baltikum und in unmittelbarer Nachbarschaft von Sankt Petersburg. Die Nato ist an die Grenzen Russlands herangerückt. Kann man Putin, der hierauf zurückhaltend reagierte, wirklich zum Bösewicht unserer Zeit stempeln?

Man fragt sich, wie die USA reagieren würden, wenn plötzlich russische Truppen oder Raketen an der kanadischen oder mexikanischen Grenze stehen würden.

Es ist nicht schwer, sich die amerikanische Reaktion auf dieses Szenario vorzustellen. Als Kuba 1983 auf der kleinen Karibik-Insel Grenada einen Flughafen baute, haben die USA diesen kurzerhand besetzt, weil ihnen der Flughafen als Bedrohung erschien. Grenada ist ca. 3000 Kilometer von Washington entfernt, Kiew von Moskau ungefähr 750. Die Nato in Kiew muss für Moskau eine Horrorvorstellung sein, zumal sich Russland seit vielen Jahren zurückgedrängt und von starker militärischer und wirtschaftlicher Kraft eingekreist sieht.

Inakzeptabel für Russland

Die Krim, für deren Besetzung man Russland seit Jahren mit einem Boykott bestraft, kam 1954 durch einen Willkürakt Chruschtschows zur Ukraine. Da die Nato sich anschickte, die Ukraine samt Krim ihrem Machtbereich einzuverleiben, drohte Russland der Verlust des wichtigsten Hafens seiner Schwarzmeerflotte in Sewastopol. Dass dies und eine der Ukraine in Aussicht gestellte Nato-Mitgliedschaft inakzeptabel sei, hat Putin bereits 2008 klargestellt. Schon im Jahr zuvor, in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz, hat er davor gewarnt, wenn die Ausweitung der Nato weitergehe, werde das einen tiefen Vertrauensverlust zur Folge haben. Seine Warnung wurde nicht ernst genommen.

Es ist wenig überzeugend, eine permanente Heuchelei, und es entspricht einer doppelten Moral, wenn die „Werte von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten“ stets nur von Putin eingefordert werden, aber Amerika, das wie kein anderes Land der Welt in den letzten Jahrzehnten so viele und so grausame Kriege geführt hat, mit seinen völkerrechtswidrigen Kriegen, den zahllosen Menschenrechtsverletzungen, mit Folter und Abhöraffären (selbst bei „Freunden“) stets ungeschoren davonkommt.

Dieter Stephan

Bensheim