Weinheim/Ramat Gan. Inmitten des Großangriffs der Hamas auf Israel ist die Stadt Ramat Gan, Partnerstadt von Weinheim, in ständiger Alarmbereitschaft. Bürgermeister Carmel Shama-Hacohen und die Bewohner der Stadt leben in permanenter Angst vor Raketenbeschuss. Während die Medien über die Entwicklungen berichten, versucht Shama-Hacohen, die Bevölkerung auf dem Laufenden zu halten und ruft zur Besonnenheit auf.
Plötzlich ist Krieg in Israel. Der Großangriff der Hamas versetzt die Bewohner des Landes in Angst und Schrecken. Nie zuvor starben so viele Zivilisten in so kurzer Zeit. Der Bezirk Tel Aviv ist eines der unzähligen Ziele des Raketenbeschusses. Dort ist auch Weinheims Partnerstadt Ramat Gan gelegen. Innerhalb der Stadtgrenzen herrscht ständige Alarmbereitschaft durch die Bombardements. Außerhalb der Stadtgrenzen sind viele schon zum Opfer der Hamas geworden: „Leider wissen wir bereits von einigen Einwohnern der Stadt, die an der Südfront entführt oder schwer verletzt wurden oder vermisst werden“, teilt Ramat Gans Bürgermeister Carmel Shama-Hacohen mit. „Wir werden beten, dass sie bald nach Hause zurückkehren.“
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Die Medien berichten am laufenden Band über die Entwicklungen im Land. Die Zahl der Toten steigt auf beiden Seiten immer weiter: Am Sonntagnachmittag beziffert die Deutsche Nachrichtenagentur die Zahl der Todesopfer allein auf israelischer Seite mit 500, hinzu kommen 2000 Verletzte. Über alle Sender prasseln die Meldungen in der verworrenen Nachrichtenlage ein, die die Menschen in der Hoffnung verfolgen, Gewissheit über vermisste Angehörige zu erlangen. Carmel Shama-Hacohen hält die Bevölkerung unter anderem über Facebook auf dem Laufenden.
Der 50-Jährige warnt, bittet um Verständnis sowie Solidarität und ruft zur Besonnenheit auf. Auch weil der Raketenschutzschirm rissig werden könnte: „Das Risiko, dass Raketen aufgrund der Intensität des Bombardements einschlagen, ist höher denn je“, so Carmel Shama-Hacohen. Bürger sollten beim Rausgehen auf die Straße jederzeit die Fluchtmöglichkeit in geschützte Räume im Auge behalten, „wenn der Alarm ertönt“. Der Bürgermeister appelliert an die Sensibilität und Hilfsbereitschaft für ältere Mitbürger: „Einige von ihnen haben Schwierigkeiten, die Realität der Notsituation alleine zu bewältigen.“ Und Carmel Shama-Hacohen bittet: Fake News sollen ignoriert und schon gar nicht verbreitet werden.
„Beide meiner Söhne sind in der Armee“, sagt Jehoschua (Name von der Redaktion geändert). Durch die strikte Wehrpflicht, die allen 16-jährigen Einwohnern vorschreibt, sich im Register der israelischen Armeebehörden erfassen zu lassen, bangen etliche Eltern um ihre Kinder.
Fast jede Familie betroffen
„Fast jede Familie ist von der Mobilmachung betroffen“, sagt Albrecht Lohrbächer, „Vater“ des Austauschs zwischen Weinheim und Ramat Gan. Auch Jehoschua, der wegen seiner Söhne eindringlich darum bittet, nicht mit echtem Namen genannt zu werden. Der Klang seiner Stimme am Telefon gibt einen vagen Einblick in die Erschütterung und die Sorge der Bürger aus der Partnerstadt. Der eigentlich so lustige, Witze reißende Mann ist seit seinem Besuch im Juli, als er mit einer Delegation Weinheim besuchte, wie ausgewechselt. Ende dieses Monats ist der Gegenbesuch der Weinheimer geplant. In Anbetracht der Situation scheint das Vorhaben jedoch sehr unwahrscheinlich.
Albrecht Lohrbächer steht in ständigem Austausch zu befreundeten Bürgern und Israelis aus anderen Teilen des Landes. Darunter ist auch Dani Gogol, dessen verstorbener Vater Schmuel mit der Kinder-Harmonikagruppe Ramat Gans mehrfach Weinheim besuchte und damit den Grundstein für die Städtefreundschaft legte. Die Sorge ist groß: „Dani hat zwei Enkel, die in der Nähe des Gazastreifens im Militär aktiv sind.“
Albrecht Lohrbächer hat auf seinem Smartphone die Warn-App Tzofar installiert. Die unaufhörlichen Handymeldungen über die verheerenden Raketenbeschüsse auf Israel tönen auch während des Gesprächs mit dieser Zeitung aus Lohrbächers Hosentasche. „Die letzte Warnung für Ramat Gan war gestern um 20.19 Uhr“, berichtet der ehemalige Schuldekan und Theologe am Sonntag.
„Wir hören die Explosionen. Die Raketen schlagen vielleicht zehn bis zwanzig Kilometer von uns ein“, erzählt Jehoschua. Nimmt eine palästinensische Rakete das Gebiet ins Visier, dröhnt es aus den Alarmsirenen und den Smartphones. Die Information über den ermittelten Einschlagort verrät, wie viel Zeit dann zur Flucht bleibt. Mal ist es eine Minute. Mal sind es zehn Sekunden. „Die meisten Wohnungen verfügen über Panikräume aus Beton und Metall“, erklärt der Israeli. „Nachdem wir die Explosion hören, müssen wir zehn Minuten warten, dann dürfen wir den Panikraum wieder verlassen.“
Weinheims Oberbürgermeister Manuel Just, der im Juni zu Gast in der Partnerstadt war, drückt seine Solidarität mit und sein Mitgefühl für Ramat Gan aus. „Seit ich von den Angriffen aus unseren Medien erfahren habe, bin ich tief betroffen. Meine Gedanken waren sofort bei unseren Freunden in Israel“, erklärt er. Bei seinem Besuch in Ramat Gan habe er erlebt, in welchem Maße die Menschen dort ihr Leben mit immer wieder drohenden und realen terroristischen Anschlägen in Einklang zu bringen versuchen. „Eine Kriegserklärung mit gleichzeitig einhergehendem massivem Beschuss – wie im Moment – stellt jedoch meines Erachtens eine neue Dimension im Kontext der jüngeren Vergangenheit dar.“ /ü
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