Bergstraße. Die weitere Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest (ASP) zu verhindern, ist derzeit oberstes Ziel in den hessischen Landkreisen. Wie das zu erreichen ist, ist allerdings höchst unterschiedlich geregelt. Während der Kreis Groß-Gerau auf strikte Ge- und Verbote setzt, ist man im Landkreis Bergstraße bemüht, mit Einwohnern, Jägern und Landwirten möglichst Lösungen im Konsens zu finden.
„Das Land macht uns hier keine direkten Vorgaben. Die Landkreise sollen vor Ort entscheiden“, sagte der hauptamtliche Kreisbeigeordnete und Dezernent für Veterinär- und Jagdwesen Matthias Schimpf beim außerordentlichen Stammtisch der Jäger des Hegerings VI, der wegen des erwarteten Andrangs in die Reisener Südhessenhalle verlegt worden war.
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Und das war gut so, denn rund 120 Jäger – auch von anderen Hegeringen – und Landwirte waren nach Reisen gekommen, um sich von den Experten aus dem Landratsamt und aus der Jägerschaft aus erster Hand informieren zu lassen. Im Verlauf des Abends, der vom Umweltbeauftragten der Gemeinde Birkenau, Michael Denger, moderiert wurde, machte Schimpf an mehreren Stellen deutlich, dass das Suchen nach Kompromissen nicht nur eine Floskel sei, sondern seit Wochen täglich geübte Praxis. „Wir setzen im Kreis auf ein Miteinander und versuchen, mit Landwirten und Jägern einvernehmliche Lösungen zu finden“, betonte Schimpf.
Der Kreis habe nach einem Fund eines verseuchten Wildschweinkadavers im Landkreis Groß-Gerau damit begonnen, erste Sperrzonen einzurichten. Nach weiteren Fällen in den Bergsträßer Gemeinden Einhausen und Biblis sowie in Eschollbrücken, Ober-Ramstadt und zuletzt in Hemsbach sei mittlerweile fast der gesamte Kreis Bergstraße als Sperrzone II ausgewiesen. Ausnahmen bildeten nur die Städte Hirschhorn und Neckarsteinach im hessischen Neckartal. Der Kreis habe dazu Allgemeinverfügungen erlassen, die das Verhalten der Allgemeinheit und der Jäger sowie der Landwirtschaft regelten. „Wir werden diese Vorschriften regelmäßig anpassen müssen.“
Bau von 1,5 Meter hohen Zäunen rund um den Sperrbezirk II
Als eine der wichtigsten Aufgaben bezeichnete es der Dezernent für Veterinär- und Jagdwesen , das Gebiet mit der höchsten Viruslast zu identifizieren und dort durch eine verstärkte Bejagung den Schwarzwildbestand „auf null“ zu bringen. Als weitere Maßnahme, die Ausbreitung von ASP zu verhindern, nannte Schimpf den Bau von 1,5 Meter hohen Zäunen rund um den Sperrbezirk II.
Den Landwirten sicherte Schimpf zu, dass sie auf Antrag und bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ihre Maisfelder durchaus abernten dürften. Nötig sei allerdings ein vorheriger Drohnenüberflug, um sicherzustellen, dass sich auf den Feldern kein Schwarzwild oder Tierkadaver befinde. Schimpf versicherte, dass der Kreis und damit auch das Veterinäramt bestrebt seien, den tierhaltenden Betrieben das Schlachten weiter zu ermöglichen. Er nannte als Gegenbeispiel einen Fall eines Schweinemastbetriebs in Trebur (Kreis Groß-Gerau), in dem 1800 Tiere gekeult, also gezielt getötet worden seien.
Neue Funde bei Biblis und Alsbach – Kreis Bergstraße untersagt Grillplatz-Nutzung
Die Funde von nachweislich infizierten Wildschweinen in der Region häufen sich. Bereits Anfang der Woche, am Montagmorgen, sei ein Tier in Biblis gefunden worden, das an der Afrikanischen Schweinepest (ASP) erkrankt gewesen sei, sagte der Bergsträßer Dezernent Matthias Schimpf dieser Redaktion auf Nachfrage. Augenzeugen berichteten dieser Redaktion, dass das Tier orientierungs- und hilflos im Kreis gelaufen sei. Ein Jagdpächter habe das Tier dann erlöst. Am Mittwoch war dann ein weiteres Wildschwein in Alsbach-Hähnlein nördlich von Zwingenberg an der Kreisgrenze zu Groß-Gerau gefunden worden.
„Bei den Funden gibt es eine Dynamik in dem Bereich zwischen Südhessen und Nordbaden, die den Experten nicht ganz klar ist“, sagt Schimpf. Die Ausbreitungssituation unterscheide sich ganz offensichtlich von anderen Gebieten, wo das ASP-Virus grassiere. Deshalb müsse man die Seuchenbekämpfungsmaßnahmen verschärfen und eine neue Allgemeinverfügung veröffentlichen.
„So bedürfen Veranstaltungen außerhalb bebauter Ortslagen, die geeignet sind, Schwarzwild zu beunruhigen – was insbesondere der Fall ist bei erheblicher Lärmemission, großer Teilnehmeranzahl, einem Andauern zwischen Sonnenunter- und Sonnenaufgang und Ähnlichem – aktuell einer Genehmigung durch die unsere Veterinärbehörde“, schrieb der Kreis in einer Pressemitteilung am Donnerstagnachmittag. In dem Antrag seien Art der Veranstaltung und besonders die Teilnehmerzahl, Dauer und so weiter zu benennen.
„Darüber hinaus ist die Nutzung von Grillplätzen in der Sperrzone aktuell nicht gestattet. Davon ausgenommen sind lediglich Gebiete, die zusammenhängend bebaut sind. Ausnahmen sind auf Antrag möglich“, erläutert Matthias Schimpf.
Über die gesetzlich bestehenden Verbote hinaus sei es in der Sperrzone verboten, Feuerwerkskörper sowie pyrotechnische Gegenstände für Bühne und Theater abzubrennen. Ebenso untersagt ist die Nutzung entsprechender Böllerschüsse. Das betrifft auch das Backfischfest in Worms. Das traditionsreiche Weinfest der Nibelungenstadt endet üblicherweise am Sonntag des ersten Septemberwochenendes – mit einem Höhenfeuerwerk, abgefeuert vom hessischen Rheinufer in unmittelbarer Nähe von Biblis.
Auch das Mountainbiking ist in der Sperrzone ausschließlich auf befestigten Waldwegen oder gekennzeichneten Radwegen gestattet. Waldbesitzern sei die Ausübung forstwirtschaftlicher Tätigkeiten in der Sperrzone II gestattet. Allerdings seien die Tätigkeiten auf das notwendige Mindestmaß zu beschränken. Privates Holzwerben mit Holzleseschein oder zugelosten Poltern sei aktuell nicht gestattet. bjz/ü
Ein dringender Appell an die Bevölkerung
„Wir wollen in unserem Kreis nicht übermäßig verfügen“, betonte Schimpf, deswegen seien auch Veranstaltungen nicht generell verboten. Allerdings müssten die Verantwortlichen vorher dem Veterinäramt ein Konzept vorlegen, das dessen Experten prüften und möglicherweise genehmigten – oder eben nicht. Selbst die Nutzung von Grillplätzen sei trotz allem nicht kategorisch ausgeschlossen, müsse aber ebenfalls genehmigt werden. Der Grillplatz müsse in einem ordentlichen Zustand wieder verlassen werden; Nahrungsmittel oder Reste davon dürften nicht zurückgelassen werden.
Der hauptamtliche Kreisbeigeordnete richtete noch einmal eindringlich den Appell an die Bevölkerung, sich im Wald auf angelegten Wegen und nicht auf Trampelpfaden zu bewegen und dabei keinen unnötigen Lärm zu machen. „Wenn dann noch die Anleinpflicht beachtet wird, ist das schon die halbe Miete“, sagte Schimpf und fügte hinzu: „Es muss in unser aller Interesse sein, die Seuche mit diesen einfachen Regeln in den Griff zu bekommen.“
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Dass dieser Appell nach wie vor wichtig ist, machte bei dem Treffen die Bemerkung einer Teilnehmerin aus den Reihen der Besucher deutlich. Sie habe den Eindruck, dass diese Regeln einem Großteil der Bevölkerung noch immer nicht bekannt seien. Der Kreis müsse daher umfangreichere Informationen weitergeben.
Schimpf reagierte auf diesen Hinweis mit Unverständnis: „Alle Informationen sind auf unserer Webseite zu finden. Wir bedienen auch die sozialen Medien und verschickten Pressemitteilungen an das Fernsehen und alle relevanten Zeitungen. Ich wüsste nicht, was wir noch tun könnten.“ Und: „Wer sich in diesen Zeiten Informationen verschließt, dem kann ich auch nicht mehr helfen.“
Daneben gab es für den Kreis Bergstraße aber auch eine Menge Komplimente aus den Reihen der Jägerschaft. Am deutlichsten formulierte es dabei der Vorsitzende des Jagdclubs St. Hubertus Bergstraße, Prof. Joachim Kilian: „Es ist wirklich eine sensationelle Zusammenarbeit“, sagte Kilian und verwies darauf, dass sich über die Jahre ein tiefes Vertrauensverhältnis zwischen Behörde und Jägern aufgebaut habe. „Jäger und Landwirtschaft finden dort immer viel Verständnis für ihre Anliegen.“
Dennoch stellte er die Frage, ob es zielführend sei, „der Seuche immer hinterherzulaufen“. Auch wenn es keine Patentlösung gebe, müsse darüber nachgedacht werden, ob Wildschweine gerade jetzt nicht intensiver bejagt werden sollten. Kilian verwies auf Erfahrungen in den ostdeutschen Gebieten, wo sich sogar das Militär am Aufspüren des Schwarzwildes beteilige.
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Von einer „Menge mehr an Arbeit“ sprach Thomas Faßbender, Leiter der Abteilung Veterinärwesen und Verbraucherschutz beim Kreis Bergstraße, andererseits habe man aber gerade aus Kreisen der Jägerschaft eine Menge Unterstützung erfahren – ganz im Gegensatz zum Nachbarkreis Groß-Gerau. Hier sei es zum Widerstand der Jäger gegen die dort geltenden Regeln gekommen. Im Kreis Bergstraße sei es ein Problem, dass die Behörden häufig unnötig alarmiert werden.
Bergungstrupps würden in Gang gesetzt, nur um festzustellen, dass sich am Auffindeort ein totes Reh oder ein toter Fuchs befinde. Die Leiterin der Unteren Jagdbehörde, Alexandra Radis, sagte, ihre Abteilung habe aktiv Verantwortung übernommen und verfüge über alle Notfallkontakte, soweit sie gemeldet worden seien. Wer seine Kontakte noch nicht gemeldet oder bei wem sie sich in der Vergangenheit geändert hätten, den bat sie, die aktuellen Kontaktdaten nachzureichen.
Udo Pfeil: „Es dauert zwei Jahre, bis man im Kreis ASP im Griff hat“
Der Vorsitzende der Kreisjagdberatung, Udo Pfeil, sprach ebenfalls von einer ausgezeichneten Zusammenarbeit zwischen Politik und Jägern. Er verwies auf die Prognose, dass es mindestens zwei Jahre dauern werde, ehe man im Kreis ASP wieder im Griff habe. „Wie könnte eine Strategie aussehen, diese Frist möglichst kurz zu halten?“, fragte Pfeil. Matthias Schimpf betonte, dass die Schweinepest durch die Fälle in Hemsbach und Ober-Ramstadt den Odenwald erreicht habe. „Hier ist die Beherrschung der Seuche sehr viel komplizierter als zum Beispiel im Hessischen Ried.“
Ziel sei es aber, in einer möglichst geringen Zeit mit der Unterstützung der Jäger „schnell auf null“ zu kommen, was den Wildschweinbestand in den Sperrzonen angehe. Ein Landwirt stellte die Frage, ob er Wildschweinfleisch aus der Sperrzone II verkaufen dürfe, wenn das Tier nachweislich nicht verseucht gewesen sei. Das sei leider nicht möglich, sagte Faßbender. MB/ü
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