Interview

Liza Kos in Lorsch: "Wenige Russen haben die Entwicklung kommen sehen"

Von 
Thomas Tritsch
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Die Musik-Kabarettistin Liza Kos hat russische und ukrainischen Wurzeln. Am 21. Mai tritt sie im Theater Sapperlot in Lorsch auf. © Sapperlot

Lorsch. Die 1981 in Moskau geborene Musik-Kabarettistin Liza Kos kommt ihrem Programm „Intrigation“ am 21. Mai ins Theater Sapperlot. Die Mutter ist Russin, der Vater stammt aus der Ukraine. 1996 zieht sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder nach Deutschland. Ab 2011 tritt sie zunächst als Singer-Songwriterin unter dem Namen Lizusha auf. 2015 präsentiert Kos ihr erstes Comedy-Soloprogramm mit dem Titel „Was glaub’ ich, wer ich bin?!“, in dem sie sich auf der Grundlage der eigenen Biografie mit Themen wie Heimat, Integration und kultureller Identifikation auseinandersetzt.

Die Künstlerin selbst spricht augenzwinkernd von einer „integrationsbedingten Persönlichkeitsspaltung“. Auf der Bühne schlüpft das „Multi-Kulti-Talent“ aus Aachen in verschiedene Rollen, spielt gekonnt mit kulturell-nationalen Klischees und bietet einen unterhaltsamen Mix aus Persiflage, Parodie und selbst komponierten Liedern.

Frau Kos, was bekommen Sie derzeit in Deutschland zu hören, wenn Sie sich als gebürtige Russin outen?

Liza Kos: Ehrlich gesagt finden momentan außerhalb meiner künstlerischen Arbeit keine Kontakte zu Menschen statt, die mich so etwas fragen könnten. Und wer in mein Programm kommt, der weiß meistens Bescheid, wer und was ihn erwartet.

Anders gefragt: Viele Russen in Deutschland sagen, dass sich ihr Leben hier in den letzten Wochen massiv verändert habe. Würden Sie dem zustimmen?

Liza Kos: Schwer zu sagen, weil ich mich nicht ausschließlich als Russin fühle. Dafür bin ich schon zu lange in diesem Land. Aber natürlich lese ich mitunter auch russische Medien und bekomme mit, dass Schüler gemobbt oder russische Menschen auf der Straße angepöbelt werden. Es scheint also durchaus schwieriger geworden zu sein für Russen in Deutschland. Ich kenne sogar welche, die aufgrund des aktuellen Klimas wieder in die alte Heimat zurückgefahren sind.

Sie haben noch viele Verwandte in Russland und in der Ukraine. Konnten Sie mit Ihren Leuten schon mal über den Krieg und seine Folgen sprechen?

Liza Kos: Ja, und ich höre schockierte Menschen. Am ersten Tag des Kriegs habe ich mit meiner Cousine gesprochen, sie hat am Telefon geweint. Die Stimmung im Land ist unglaublich schlecht und angespannt.

Ihr Deutsch ist makellos. Mussten Sie sich den russischen Zungenschlag für ihre Bühnenfigur erst wieder antrainieren?

Liza Kos: In der Tat! Denn ich hatte Jahre daran gearbeitet, diesen Akzent loszuwerden. Als ich damit wieder auf die Bühne gehen wollte, musste ich schon etwas üben.

Wir viel der privaten Liza Kos erlebt man auf der Bühne?

Liza Kos: Das Programm ist stark autobiografisch geprägt. Ausgenommen die russische und die türkische Rolle, die im Laufe der Zeit ein Eigenleben entwickelt haben.

Über eine Beziehung sind Sie zum Islam gekommen. Sie sprechen fließend türkisch. Fühlen Sie sich dieser Religion noch zugehörig, wenngleich Sie sich von ihr verabschiedet haben?

Liza Kos: Aus dem Islam kann man nicht austreten. Es gibt dafür kein Ritual. Eine gewisse Nähe ist schon noch spürbar. Daher schmerzen mich die islamophobischen Tendenzen in Deutschland umso mehr. Es ist schade, wenn Menschen ein vorschnelles Urteil über etwas fällen, das sie nie richtig kennengelernt haben, und wenn sich daraus eine Angst entwickelt. Letztlich fühle ich mich heute aber über allen Religionen stehend. Man könnte sagen, dass ich mich von Religion emanzipiert habe.

Ihre Figuren sind klischeebeladene Typen: die sexy Russin mit weißblonden Haaren, kurzem Rock und Wodkaflasche – und die verschlossene Türkin mit Kopftuch und biederem Mantel. Riskieren Sie dabei nicht oberflächliche Lacher beim Publikum, die Sie eigentlich gar nicht beabsichtigen?

Liza Kos: Früher war das manchmal durchaus problematisch. Doch inzwischen hat sich Svetlana ganz gut integriert und einen etwas natürlicheren Style angenommen. Das ist übrigens auch bei vielen Frauen in Russland erkennbar. Ich sehe das Risiko von billigen Lachern aber weniger in reinen Äußerlichkeiten als in platten Kommentaren. Auf der anderen Seite lebt Comedy ja auch von Klischees: Wenn die Vorurteile des Zuschauers bestätigt werden, fühlt er sich bestätigt und nicht mehr allein. Dann hat man eine Ebene erreicht, auf der man nah am Publikum ist und Stereotype abbauen kann.

Klischees entstehen nicht im Vakuum, sie werden vom Kleinen ins Große transformiert. Welche treffen noch immer zu?

Liza Kos: Es ist ein Paradoxon: Im Großen und Ganzen stimmen die meisten Klischees, beim Blick auf den Einzelfall treffen die wenigsten zu. Ich persönlich trinke zum Beispiel gar keinen Alkohol, weil ich ihn nicht vertrage. Aber es gibt natürlich viele Russen, die gern etwas mehr trinken. Genauso stimmt es, dass viele Männer etwas Macho sind und einige Frauen aufs Geld schauen. Man könnte Letzteres aber auch als Sehnsucht nach Sicherheit bezeichnen, die wahrscheinlich sogar die meisten Frauen bestätigen würden – nicht nur die russischen. Wir bewegen uns beim Thema Klischees auf einem ziemlich dünnen Eis.

Auf dem Sie sich in Ihrem Programm aber sehr sicher bewegen. Sind Ihre deutschen Zuschauer denn überhaupt interessiert am Leben abseits der Vorurteile?

Liza Kos: Es gibt sehr viele russland-affine Menschen hier. Auch in meinem Publikum. Ich stelle fest, dass die meisten Zuschauer zwar durchaus Freude am Spiel mit kulturellen Klischees haben, aber auch ernsthaft über Dinge nachdenken und Themen reflektieren. Ja, ich denke, ich habe ein intelligentes Publikum (lacht).

Jetzt wollen wir natürlich wissen: Wie ist Russland wirklich?

Liza Kos: Ich habe in meiner Jugend vor allem die 90er Jahre bewusst erlebt. Das war wunderbar, eine komplett andere Welt. Ich lerne mein Land gerade ganz neu kennen. Und ich weiß, dass es vielen Menschen vor Ort momentan ebenso geht. Es klingt seltsam, aber wenige haben diese Entwicklung kommen sehen. Noch am Tag vor Kriegsbeginn haben meine Verwandten geschrieben, dass es nie soweit kommen würde. Alle dachten, es geht über ein Säbelrasseln nicht hinaus. Es ist jetzt ungeheuer wichtig, dass man diesen Mann nicht mit dem Volk verwechselt.

Wieso ist in Ihrer Biografie das Geburtsjahr von Alexander Puschkin erwähnt?

Liza Kos: Weil wir am gleichen Tag Geburtstag haben.

Gibt es weitere Gemeinsamkeiten?

Liza Kos: In meiner Erinnerung sah mein Vater immer aus wie Puschkin. Er hatte ein sehr ähnliches Profil, dazu die große Nase und die Locken. Ich dachte früher immer, Puschkin wäre mit uns verwandt.

Im Jahr 2081 erwarten Sie dann die Wiedergeburt als Junge, steht da weiter. Hadern Sie mit Ihrem Geschlecht?

Liza Kos: Ich fühle mich inzwischen als nicht-binäre Person. Es ist das Empfinden, einfach nur Mensch zu sein. Ich sage immer: Weder Fisch noch Fleisch, auch für Veganer geeignet! Aber im Ernst: Dieses persönliche Bewusstsein, sich weder ausschließlich als männlich noch als weiblich zu identifizieren, verdanke ich Deutschland. Hier hat man die Freiheit, aus typischen Geschlechterrollen auszubrechen. Warum ich das mit der Wiedergeburt da hingeschrieben habe, weiß ich gar nicht mehr so genau. Das war eher spontan. Je länger ich das Leben der Männer beobachte, desto weniger möchte ich mit ihnen tauschen.

Sind Sie ein ernster Mensch?

Liza Kos: Sehr! Ich sollte eigentlich kein Comedian sein.

Ein schönes Schlusswort.

Liza Kos: Nein, das müsste schon etwas optimistischer klingen.

Nämlich?

Liza Kos: Ich denke, dass wir in dieser katastrophalen Zeit viel positive Energie brauchen. Humor kann diese Energie auslösen. Wir dürfen und wir sollten lachen - und das am besten bis zum Schluss.

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