Lorsch. Das Beste kommt zum Schluss? Manchmal trifft diese Phrase durchaus zu. Zum Beispiel beim jüngsten Kultursalon im Theater Sapperlot. Mit einer außergewöhnlichen Körperbeherrschung und umwerfenden Bühnenpräsenz hat der international mehrfach ausgezeichnete Herr Niels eine Glanzleistung auf die Bretter gezaubert.
Der Niedersachse gilt in der Szene zurecht als einer der besten Visual Comedy Acts. In Lorsch hat er das Publikum am Dienstagabend mit einem kurzweiligen Mix aus Pantomime und Clownerie begeistert.
Mit sparsamer, leicht weggetretener Mimik und höchst eigenwilliger Körpersprache bis in den kleinen Finger lehnt er sich an unsichtbare Bartresen, lässt sich von Flaschen ziehen und wabert in Zeitlupe über die Bühne. Eine (fast) wortlose Bühnenperformance, die man in derart subtiler Brillanz selten erlebt.
Niels Weberling aus Hannover hat seine Kunstfigur perfektioniert und ihr eine eigene Persönlichkeit auf den Gummileib geschneidert.
Wenn er die Luft mit einer (batteriebetriebenen) Malerrolle anstreicht oder in slow motion vor dem Publikum agiert, ist die Illusion perfekt. Der Applaus des Sapperlot-Publikums galt eindeutig dem finalen Bonbon der April-Show, die wie immer von Klavierkabarettist Daniel Helfrich moderiert wurde.
Als Kommentar zum russischen Überfall auf die Ukraine – beziehungsweise auf dessen Urheber – wählte Helfrich diesmal keinen kritischen Song, sondern eine akustische Collage aus der Konserve: ein zusammengeschnittenes Potpourri der schönsten Ausraster von Klaus Kinski aus dem dokumentarischen Fundus von seinem „liebsten Feind“, dem Regisseur Werner Herzog. Kinskis schäumende Beleidigungen verfehlten ihren Zweck nicht, die Zuschauer zollten der indirekten Verbalklatsche Richtung Kreml starken Beifall.
Der Rest des Abends war eher unspektakulär. Der Kabarettist und Autor Aydin Isik (Hessischer Kabarettpreis 2018) servierte eine 20-minütige Abhandlung von Gegenwartsthemen wie Corona, Krieg und Verschwörungstheorien, bei der er auch die Frage stellte, ob klassische Neonazis durch die Ankunft von Rechtsauslegern wie Attila Hildmann und dem sich aktuell so wirkungsvoll geläutert gebenden Xavier Naidoo nicht doch ein bisschen verwirrt sein könnten.
Gitarrist von Naidoos Band
Dass mit Alex Auer wenige Minuten später der Stammgitarrist in Naidoos Band auf die Bühne kam, war ein dramaturgisches Leckerli mit einem fast noch höheren Unterhaltungswert. Auer intonierte in Lorsch neben einigen Bluesstücken auch Naidoos Hit „20 000 Meilen unter dem Meer“.
Alice Hoffmann konnte sich von ihrer Paraderolle als Hilde Becker neben Gerd Dudenhöffer nie wirklich freistrampeln. Sie gibt die „Kittelschürze der Nation“ mit einem naiven, aber letztlich doch wachen Blick auf den Zustand der Welt. Und am Ende wird sogar gestrippt: fast wie eine russische Matrjoschka entblättert sie sich von außen nach innen – und verwandelt sich von der saarländischen Mutti in die Schauspielerin, Autorin und Sängerin, die sie wirklich ist. Eine gelungene Häutung im Sapperlot, wo ganz langsam wieder ein Stück Normalität einzukehren scheint. Fast hundert Zuschauer applaudierten mit. tr
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