Theater Sapperlot - Chin Meyer, bekannt in der Rolle als Siegmund von Treiber, begeisterte im Lorscher Theater

Chin Meyer: Langer Applaus für den satirischen „Steuerfahnder“ in Lorsch

Von 
Thomas Tritsch
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Chin Meyer trat im Lorscher Theater Sapperlot auf. © Sapperlot

Lorsch. Über Geld spricht man nicht, Geld hat man! Das ist zwar eine sehr brauchbare und rücksichtsvolle Philosophie, doch manchmal, allerdings selten, hat das Sprechen über die Finanzen einen überaus unterhaltsamen Aspekt. Ein Fachmann in diesem eher dünn besetzten Genre ist Chin Meyer. Der Autor, Schauspieler und Sänger dozierte jetzt im Theater Sapperlot über ein „Leben im Plus“. So der Titel seines aktuellen Programms, das zwar aus dem Jahr 2019 stammt, aber aus bekannten Gründen nicht gar so oft gespielt wurde.

Bekannt wurde der gebürtige Hamburger in der Figur des satirischen Steuerfahnders „Siegmund von Treiber“. Dabei ist Meyer, Jahrgang 1959, weder familiär noch biografisch von ökonomischen Themen beeinflusst. Vielleicht gerät sein Finanzprogramm gerade deshalb nicht zu einem belehrenden Pädagogik-Seminar für pensionierte Bankangestellte oder Investment-Spezialisten. Als Hobby-Kapitalist geht er vielmehr der Frage nach, wie sich Reichtum eigentlich definiert und ob finanzieller Segen wirklich unglücklich macht.

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Nein, so der Künstler. Neidisch und verhärtet sind lediglich die anderen, die dem Reichen seine Kohle nicht gönnen. Zum Beispiel der Nachbar des Lottogewinners.

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Wer sich bei Themen wie Briefkasten-Firmen, Cum-Ex-Geschäften, Wirecard oder Pandora Papers normalerweise gähnend ausklinkt, der wurde an diesem Abend in Lorsch wachgerüttelt. Im Dialog mit „Aliri“, einer künstlich intelligenten Kreuzung aus „Alexa“ und „Siri“, plaudert er sich durch einen kurzweiligen Abend, sinniert als Inder über das Aussterben des Bargelds und rattert als Steuerfahnder („Viele bekannte Gesichter hier heute Abend!“) sämtliche fiskalischen Abgaben herunter.

Und: Chin Meyer beherrscht das Spiel mit dem Publikum, immer wieder geht er auf verbale Tuchfühlung mit frontplatzierten Zuschauern, um als musikalische Zugabe noch ein Lied über die Kennenlernphase eines anwesenden Paars anzustimmen, von dem er zuvor die wesentlichen Fakten abgehört hat.

Auch der „politische Schlager“, als stilistische Variante eine echte Rarität, gehört zum breit gefächerten Repertoire des Straßentheater-erprobten Allrounders. In einem Song über die große Migration kommt unter anderem auch eine in den 1990er Jahren sehr große, mittlerweile aber etwas vergessene Landsmannschaft vor: die Flüchtlinge aus dem Erzgebirge. „Ich bin so anders als Du“, singt der Mann, der früher einige Jahre als lebendige Jukebox in ganz Europa umhergereist ist. Aber auch ein Schauspielstudium am Londoner Lee-Strasberg-Institute und eine Zeit als Musicalsänger gehören zu seinem wechselhaften Lebenslauf.

Die „Leimener Schule“ um Becker

Aus seinem satirischen Wirtschaftspodcast mit Timo Wopp („Nur für Gewinner“) hat der Künstler den Beitrag über die „Leimener Schule“ ausgekoppelt: ein Glaubensmodell, das jede Form von Verantwortung und Konsequenz abstreift und das verbale Aussitzen begangener Fehltritte zur Kunstform erhoben hat. Prominente Vertreter sind Boris Becker und Anne Spiegel, die der Philosophie aufgrund ihres gemeinsamen Geburtsorts ihre geografische Namensgebung geschenkt haben, so Meyer.

Schwarze Konten, rote Zahlen

Das Bühnenprogramm ist ein vehementes Plädoyer für Pluralismus und Demokratie im Kontext von schwarzen Konten und roten Zahlen. Chin Meyer empfahl sich in Lorsch als Top-Analyst für gesellschaftliche Widersprüche und als charmanter Finanzberater auf der Höhe der Zeit. Und auch die Statistik kam an diesem Abend nicht zu kurz: knapp 200 000 Kriegstote gab es im vergangenen Jahr. Gut doppelt so viele Menschen wurden ermordet. Aber durch Suizid sterben mehr Menschen als durch Terror, Krieg und Mord zusammen. Mit anderen Worten: ein Spaziergang durch Kabul ist wesentlich sicherer als ein Abend allein daheim.

Daher zum Überleben raus aus der Wohnung und – auch das wird Herr Meyer nicht müde zu bewerben – mit dickem Geldbeutel in den Spendierhosen nichts wie hinein in den nächstgelegenen Kulturbetrieb. Langer Applaus im Sapperlot. Auch von den Besserverdienern.

Freier Autor

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