Mannheim. Das hätte wohl niemand erwartet. Vermutlich noch nicht einmal Bundestrainer Julian Nagelsmann höchstpersönlich. Doch das Wohlergehen der deutschen Fußball-Nation hängt im November 2025 tatsächlich sehr maßgeblich von den WM-Qualifikationsspielen gegen Luxemburg und die Slowakei ab. Mit zwei Siegen sichert sich die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes auf jeden Fall die Reise zum Turnier in Nordamerika. Vielleicht reichen auch vier Punkte. Doch alles andere als zwei klare Erfolge wären eine Enttäuschung – und würde zu einer verschärften Debatte über die Qualität der Nationalmannschaft und vor allem zu Zweifeln am Bundestrainer führen.
Zur Wahrheit gehört sicherlich, dass dem Team aufgrund von Verletzungen wichtige Spieler seit längerer Zeit fehlen: Jamal Musiala, Kai Havertz, Antonio Rüdiger und Tim Kleindienst. Das darf Nagelsmann nicht vorgeworfen werden. Sehr wohl aber seine Unberechenbarkeit. Er hat die Nationalmannschaft zu einem Versuchslabor gemacht. Mit Experimenten, die ihm um die Ohren geflogen sind. Und noch immer besteht die reale Gefahr, dass der Bundestrainer die Trümmer mit ins neue Jahr nimmt. Sogar bei zwei Siegen. Was sich Nagelsmann selbst zuzuschreiben hat.
Nach dem EM-Aus 2024 rief er das Ziel WM-Titel aus. Das war ein wenig zu ambitioniert. Und zwar schon damals. Viel wichtiger war aber etwas, was Nagelsmann auch noch sagte: Er wies darauf hin, dass ihm mit seiner Mannschaft nur sehr wenige Trainingswochen und Spiele bis zur WM bleiben. Die logische Konsequenz daraus wäre es gewesen, die gemeinsame Zeit zu nutzen, um Abläufe zu perfektionieren und so etwas wie eine Stammelf zu finden. Stattdessen: Immer wieder neue Spieler, immer wieder neue Ideen. Zuletzt wurde der sprunghafte Bundestrainer sogar sich selbst untreu.
Es ist nicht so lange her, da formulierte Nagelsmann den Anspruch an seine Spieler, dass sie in ihren Vereinen gesetzt sein müssen. Für Leon Goretzka gilt das aber offensichtlich nicht. Denn immer wieder wird er nominiert. Beim glücklichen 1:0 in Nordirland im Oktober stand Goretzka sogar von der ersten bis zur letzten Minute auf dem Feld. Seine Bilanz: 14 Ballverluste, eine Passquote von 68 Prozent und nur 47 Prozent gewonnene Zweikämpfe. Es hat seine Gründe, dass der Mittelfeldmann in den wichtigen Begegnungen beim FCBayern keine Rolle spielt.
Die Nationalelf wirkt nicht wie ein gefestigtes Konstrukt.
Das Schlimme: Die Causa Goretzka ist kein Einzelfall. Von Leroy Sané erwartete Nagelsmann eine deutliche Leistungssteigerung, vor allem viele Tore und Vorlagen in der schwächeren türkischen Liga. Seine Statistik: zwölf Spiele, drei Treffer, ein Assist. Das klingt nicht nach einer Empfehlung. Und doch ist er jetzt dabei.
All das sorgt dafür, dass die Nationalmannschaft sieben Monate vor der WM auf keinen Fall wie ein gefestigtes Konstrukt wirkt. Nagelsmann ist immer noch auf der Suche nach einem Team, klare Rollen gibt es kaum und fast alles wirkt ein bisschen wild. Maximilian Beier, Angelo Stiller, Robin Koch, Jonathan Burkardt und viele andere. Mal sind sie dabei, mal nicht. Keiner kann sich sicher sein. Eine Mannschaft braucht aber Halt und Orientierung. Es wäre wünschenswert, wenn ihr der Bundestrainer von nun an beides gibt. Es ist nämlich höchste Zeit.
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Bergsträßer Anzeiger Plus-Artikel Kommentar Der Fußball-Nationalmannschaft läuft die Zeit davon
Nur noch sieben Monate sind es bis zur WM. Bundestrainer Julian Nagelsmann sucht immer noch nach einer Mannschaft, was allen voran an ihm selbst liegt, meint Marc Stevermüer.