Mysterien sind etwas Gutes und Aufregendes, nicht nur, aber besonders in der Welt des Pop. Man muss da gar nicht bis hin zu großen Geheimniskrämer-Avantgardisten wie The Residents denken, vielmehr und ganz basal werden Fantasie und (Kunst-)Sinne eben eher vom Mangel als durch einen Überfluss an Informationen stimuliert. Man weiß und findet nicht allzu viel über das Mannheimer Elektronik-Projekt Geistha, jedenfalls keine Klarnamen.
Geheimnisvolle Konstellation
Was die Ankündigung zum Online-Konzert im Heidelberger Karlstorbahnhof verrät, ist, dass Geistha „als non-binäre*r Künstler*in kontinuierlich eine klare ästhetische Vision entwickelt“ habe. Im Livestream gibt sich das Projekt in Zwei-Personen-Stärke die Ehre – die eine nach konservativem visuellen Einordnungs-Verständnis männlich (und zugleich Stimme und der Kopf hinter Geistha), die andere weiblich (an Tastenwerk und Co-Gesang).
Majestätische Future-Pop-Sphären treffen hier alsbald auf die fragil gesponnene melodische Sensibilität von Antony And The Johnsons, aus der Tiefe heraus tastende Elektroniknebel winden sich um einen pulsierenden Glutkern: Geistha spricht gleichsam eine Einladung aus, über die Türschwelle in die dahinterliegende Dunkelheit zu treten – eine Dunkelheit, die freilich gar nicht so finster ist, sondern in der funkelnde Reflexionen auszumachen sind.
Hypnotische Stücke
Man sinkt dort in Licht-absorbierende Abgründe, aus denen silberheller Gesang aufsteigt, sich Streicherklang und Beat-Schwaden fließend umschließen. Und man geht gern darin verloren, in hypnotischen Stücken wie „Prayer“ oder „Sins“, im Piano-gesprenkelten, ziemlich fabelhaften „Floods“ oder auch beim The-Weeknd-Cover „Blinding Lights“. Und man ertappt sich selbst dabei, gegen Ende des 40-minütigen Auftritts die inzwischen fast schon angerostete, alte Leier zu murmeln: Das würde man doch sehr gerne nicht digital vermittelt, sondern vor Ort hören und sehen – im Herzen der fesselnden Finsternis. Und sehr gern besser aufgelöst als mit 720 dpi.